5. Jg., Heft1 Juli 2000 |
Jurij NikitinRUSSISCHE AUSSTELLUNGSHALLEN
AUF WELTAUSSTELLUNGEN |
Die Bestärkung der russischen Nation und ihrer Eigenständigkeit sind untrennbar verbunden mit der Beteiligung Russlands an Weltausstellungen und internationalen Ausstellungen, die in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts weit verbreitet waren. Diese "Weltschauen" wurden in vielen europäischen und amerikanischen Städten durchgeführt, in Paris allerdings mit einem besonderen Elan. Auf diesen Ausstellungen erfolgte eine erste Bekanntschaft des Auslandes mit der urwüchsigen russischen Architektur, mit der darstellenden Kunst und den Erzeugnissen der Landwirtschaft, des Handwerks und der Industrieproduktion, was die Stärkung des Ansehens Russlands beträchtlich beförderte und seine Einbeziehung in das kapitalistische Weltsystem beschleunigte. Im Jahre 1851 beteiligt sich Russland erstmals an der Londoner Weltausstellung [1]. Von 1862 an, zur Weltausstellung in London, nimmt Russland offiziell an sämtlichen Weltausstellungen (außer der Pariser von 1889) und einer Vielzahl internationaler Ausstellungen teil. Die ganze Bürde der Organisation der russischen Abteilungen zu diesen Ausstellungen lastete auf dem Finanzministerium und dem Ministerium für Staatsvermögen. Darüber hinaus waren aber auch noch andere Regierungsbehörden (Bildungsministerium, Marineministerium, Ministerium des Zarenhofes) und wissenschaftliche Gesellschaften (Russische technische Gesellschaft, Russische Gesellschaft für Gartenbau u.a.) an den Ausstellungen beteiligt. Die Organisation der künstlerischen Bereiche oblag der Akademie der Künste. Die Zarenregierung enthielt sich des öfteren von einer offiziellen Teilnahme an diesen Ausstellungen und schlug den Organisatoren vor, sich doch lieber direkt an die russischen Industriellen zu wenden. Im Zeitraum von 1851-1914 nahm Russland an über 160 verschiedenen Ausstellungen teil [2]. Interessant ist, dass Russland bereits damals seine nationalen Ausstellungen im Ausland zelebrierte, wozu auch schwimmende Ausstellungen zählten. Spannend ist auch die Tatsache, dass Russland noch zur ersten Weltausstellung in London nahezu ausschließlich mit Erzeugnissen der Landwirtschaft und des Handwerks präsent war, aber bereits zur Pariser Ausstellung von 1900 außer den prachtvollen Stücken aus russischen Manufakturen und Handwerksbetrieben auch Erzeugnisse der Schwerindustrie und des Maschinenbaus ausgestellt wurden [3]. Die stetige Vergrößerung der Anzahl der industriellen Exponate im Verlaufe des gesamten XIX. Jahrhunderts zeugt von der ungestümen Entwicklung des Kapitalismus in Russland nach der Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahre 1861. Eine gewisse Auslese der interessantesten Exponate für die internationalen Ausstellungen ermöglichten die zahlreichen Ausstellungen in Russland selbst. Zeugnis der Anerkennung der einheimischen Industrie legen die zahllosen Auszeichnungen ab, die russische Exponate auf Ausstellungen im Ausland erringen konnten. Die Bereiche der russischen Kunst konnten große Erfolge für sich verbuchen, und so manche Werke nahmen höchste Auszeichnungen mit nach Hause. Das Verdienst der Akademie der Künste, die als Hauptorganisator der russischen Kunstabteilungen auf diesen Ausstellungen fungierte, bestand darin, dass sie die russische Kunst im Ausland verbreitete. Der Bestand der russischen Kunstabteilungen insgesamt war ein wahrhaftiges Abbild des Standes der Kunst Russlands zu jener Zeit [4]. Die Beteiligung Russlands an diesen Ausstellungen war auch den Russen selbst behilflich dabei, die Mannigfaltigkeit ihres Nationalbesitzes wertzuschätzen. Gemäß der Forderung der Organisatoren der Pariser Weltausstellung von 1867 richtet Russland neben weiteren Teilnehmerländern erstmalig ein eigenes Restaurant "nach Geschmack des Landes" ein. Ein russisches Wirtshaus wird zum Bestandteil zahlreicher russischer Ausstellungshallen im Ausland und trägt in nicht gerade geringem Maße zu deren Erfolg bei. Ein russisches Restaurant wurde sogar auf der ersten Plattform des Eiffelturms während der Ausstellung von 1889 eingerichtet [5]. Eine Analyse der Organisation der russischen Ausstellungshallen im Ausland geht in engster Weise einher mit der gesamten Ausstellungsgeschichte an sich, mit den politischen Ereignissen jener Zeit. Die Praxis des russischen Ausstellungsbaus im Ausland erfolgte in drei Hauptrichtungen, der Errichtung der Musterbauten, der offiziellen "Repräsentations"gebäude und -fassaden und schließlich der Ausstellungspavillons. Erstmals traten Kostproben der russischen Architektur zur Pariser Ausstellung von 1867 ins Licht der Öffentlichkeit. Im Park der russischen Abteilung wurde eine Blockhütte mit Wirtschaftsgebäuden und einem Pferdestall errichtet. Die Hauptexposition Russlands war wie auch die der anderen Teilnehmerländer in dem riesigen Ausstellungsgebäude auf dem Marsfeld untergebracht. Das prädestinierte auch den Charakter der Gestaltung der russischen Abteilung in Form der Dekorationsfassade innerhalb des Gebäudes. Kulissen dieser Art baute Russland unter anderem zu den Ausstellungen in Paris 1878 und 1889, in Wien 1873, in Chicago 1893. Diesen Bauten kam in der Regel die Funktion der Werbung und eine ethnographische Rolle zu; sie waren im typisch "russischen Stil" der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gehalten. Die Organisatoren der Pariser Ausstellung von 1878 stellten die Bedingung, dass die Teilnehmerländer unbedingt eigene Pavillons in deren nationalem Stil zu errichten hätten. Die russische Fassade in der "Straße der Nationen" (Architekt I.P. Ropet) kam beim breiten Publikum und der künstlerischen Kritik in Frankreich blendend an. [6] Eine ähnliche Gestaltung des Einganges zur russischen Abteilung wurde auch für die Ausstellungen 1888 in Kopenhagen (Architekt I.P. Ropet) [7] und 1897 in Stockholm (Künstler B.A. Nikolajev) [8] gewählt. Diese Bauten waren allerdings keine Ausstellungspavillons im vollen Sinne des Wortes, weil sie kein Domizil für Ausstellungen waren. Die Spezifik der Architektur auf solchen "Weltschauen" besteht hingegen darin, dass jedes nationale Bauwerk schon an sich ein Exponat ist. Diese russischen Bauten, die als originelle Paradepropyläen dienten, bereiteten den Weg für die Errichtung einer ganzen Reihe von Musterbeispielen der Architektur, die im Geiste der altrussischen Stilisation gehalten sind. Diese besondere Werbebedeutung dieses Typus von Bauten prädestinierte gewissermaßen auch die deutlich zum Ausdruck kommende nationale Stilistik ihrer Architektur. Als "repräsentative" Bauwerke Russlands wären zu nennen der "Zarenpavillon" im Stil eines russischen Bojarenhauses aus dem XVII. Jahrhundert (Architekt I. Monigetti) zur Weltausstellung 1873 in Wien, der Pavillon für die offiziellen Empfänge zur Ausstellung 1904 in St. Louis (Architekt R.F. Melzer), sowie die Holzhäuser zu den Ausstellungen in Mailand 1906 und in Bordeaux 1907 (Künstler A.N. Durnovo). Als erstes Beispiel für ein Bauwerk mit reinem Ausstellungscharakter kann der Ergänzungsbau für landwirtschaftliche Geräte zur Pariser Ausstellung von 1878 (Architekt I.P. Ropet) dienen. In den zahlreichen Bauwerken zur Weltausstellung von 1900 in Paris stoßen wir bereits auf eine relativ durchdachte funktionelle und expositionelle Lösung der russischen Ausstellungspavillons. Der russische Zentralpavillon (Pavillon der russischen Grenzgebiete) stellte eine wunderschöne Komposition von Türmen und Gemächern nach Motiven der Bauwerke des Moskauer Kremls dar (Architekt Roman F. Melzer). Der neben dem Trocadero untergebrachte Komplex der russischen Abteilung belegte eine Fläche von nahezu 0,5 ha. Er war in Requisitenmanier (Holzgerüst mit aufgebrachtem Stuck) errichtet, imitierte jedoch sehr genau den Charakter der Baustoffe und die historische Gestaltung der Fassaden und Innenräume. Auf dieser Ausstellung wurden noch einige weitere Pavillons errichtet, an deren Projektierung der Künstler K. Korovin und die Architekten I.Je. Bondarenko, A.I. Gaugin, R.F. Melzer, F.O. Schechtel, V.A. Zeidler u.a. beteiligt waren. Von großem Interesse bei der Herausbildung des Typs eines nationalen Ausstellungspavillons Russlands ist der Komplex der Bauten der russischen Abteilung zur Ausstellung in Glasgow 1901 (Architekt F. Schechtel). Ihre Architektur ist im sogenannten neurussischen Stil gehalten, der einen national-romantischen Abzweig der russischen Moderne darstellt [9]. Die Pavillons von Russland zu den internationalen Ausstellungen in Dresden 1911 und Leipzig 1914 (Architekt V.A. Pokrovskij), sowie in Malmö 1914 waren ebenfalls auf Alt getrimmt und stellten einen bereits voll ausgereiften Typ von Ausstellungsgebäuden dar. Zu einem großen Ereignis im Leben der russischen Kunst wurde 1914 die Eröffnung des ständigen Ausstellungspavillons in Venedig (Architekt Alexej Viktorovich Shchusev). Dieses Bauwerk hatte enorme Ausmaße. Es verkörperte die Wesenszüge der Moskauer Architektur des XVII. Jahrhunderts und entsprach in vollem Maße auch den Forderungen des Museums der darstellenden Künste. Das gestreute Oberlicht schuf optimale Bedingungen für die Ausleuchtung der Ausstellung [10]. Angefangen bei den ersten Bauten zur Weltausstellung von 1867 in Paris, präsentierte sich Russland somit auf sämtlichen Folgeausstellungen in den Formen der altrussischen Baukunst. Eine seltene Ausnahme von dieser Regel sind die russischen Pavillons zu den internationalen Ausstellungen 1911 in Rom und Turin, die im Stil der russischen klassischen Architektur gehalten sind (Architekt Vladimir Alexejevich Shchuko) [11]. Die russischen Ausstellungsbauten waren markant und originell in ihrer künstlerischen Lösung, und sie gehörten jedes Mal zu den bemerkenswertesten nationalen Bauwerken. Diese Bauten reflektierten einerseits die Haupttendenzen in der Entwicklung der Architektur, die sich in Russland selbst vollzogen, und waren andererseits die Folge bestimmter Sichtweisen der Organisatoren der Weltausstellungen auf eine Architektur neuen Typs von nationalem Ausstellungspavillon, dessen Spezifik eine unbedingte Stilisation und die Rückkehr zu den urwüchsigen Formen der Vergangenheit erforderte und damit ermöglichte, eine eigene Quintessenz des nationalen Stils an den ausländischen Betrachter heranzutragen und sich wohltuend von den Bauten in der Umgebung abzuheben. Die prägnante landestypische Farbgestaltung der Ausstellungsanlagen Russlands war keine Ausnahme, sondern fügte sich harmonisch in die Architekturpraxis der an den Ausstellungen beteiligten Länder ein. Die wichtigste Besonderheit des russischen Ausstellungsbaus
im Ausland war das beständige Streben nach einer hohen Qualität
der Architektur, ungeachtet des unvermeidbaren späteren Abrisses
dieser Anlagen. Die russischen Architekten waren bestrebt, ein originelles
Abbild des nationalen Ausstellungspavillons zu kreieren, von daher war
die Zuwendung zur altrussischen Baukunst ganz natürlich. Der von
Russland beschrittene Weg bei der Teilnahme an Weltausstellungen und internationalen
Ausstellungen war nicht von ungefähr. Es war ein Weg zur Bestätigung
der russischen Nationalkultur im Westen. (Über die Beteiligung von Exponaten sämtlicher Industriezweige an der Weltausstellung von 1851 in London.) [2] ï ×ÙÓÔÁ×ËÁÈ × òÏÓÓÉÉ É
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ÏÐ. 16, ÎÏ. 177. [8] ïÔÞÅÔ çÅÎÅÒÁÌØÎÏÇÏ
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37. Ó. 381.386. ÎÏ. 38. Ó. 389-390. Übersicht über die internationalen Ausstellungen, an denen Russland im XIX. bis Anfang des XX. Jahrhunderts offiziell teilnahm: 1851 Weltausstellung in London.
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