Thema
5. Jg. Heft1
Juli 2000

Identitäten, Räume, Projektionen:
Weltausstellungen der Architektur

Architektur und Ausstellung
Thomas
Schriefers


(Köln)
Denkmäler mit Verfallsdatum -
Zur Überwindung des traditionellen Denkmalbegriffs auf Weltausstellungen

Die Tradition der Einrichtung nationaler Staatenhäuser prägt das Erscheinungsbild der Weltausstellungen, seit man sich entschied, auf den Bau eines alle Abteilungen vereinenden Messepalastes zu verzichten. Dabei verwandelten sich die Bauten vielfach in ikonografische Manifestationen, die als propagandistische Informationsträger sowohl für Produkte und Waren, als auch Weltanschauungen und Bildungsideale warben. Die beim Betrachter bewusst erzeugten Bilder förderten die Verknüpfung des Wahrgenommenen mit dem in der Erinnerung Gespeicherten, um das Erlebte assoziativ weiter zu spinnen. Maßstäblich integriert oder maßstabslos übersteigert verweisen Pavillons daher auf Bedeutungen, die über das Wahrgenommene hinaus gehen. Dadurch erscheinen viele Ausstellungsbauten als Denkmäler. Denkmäler, die aber, entgegen der Konvention dauerhafter Bauten, für den Abbruch geschaffen wurden. Denkmäler mit Verfallsdatum, gewissermaßen Monumente, die als Gegenbild ihres Vorbildes, ihre Wirkung nur für kurze Zeit entfalten. An diesem Beispiel soll dargestellt werden, dass auf Weltausstellungen gängige Kategorien und Definitionen außer Kraft gesetzt werden können, sich Merkmale ins Gegenteil verkehren. Selbst so repräsentative Bauten wie Denkmäler mit Ewigkeitswert, die als Zeitgeist-Monumente bereits beim Bau für den baldigen Abriss vorgesehen sind.

Mary
Pepchinski

(Dresden)

"Frauengebäude" und die Weltausstellungen: Ausstellungsarchitektur und widersprüchliche Frauenideale auf europäischen und amerikanischen Weltausstellungen, 1873-1915.

Es hatte den Anschein, dass die "Frauengebäude", die zwischen 1873 und 1915 auf den europäischen und amerikanischen Weltausstellungen auftauchten, die Architektur einzig und allein deshalb beschäftigten, um ein sich veränderndes Frauenideal auszudrücken und damit den Versuch unternahmen, die Weiblichkeit nachweislich in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. In der Tat war die Definition einer zunehmenden öffentlichen Rolle der Frauen eines der Ziele, die mit diesen Strukturen und deren Ausstellungen beabsichtigt waren.
Wie jedoch bereits Karen Offen feststellte, befand sich Standort von Frauen inmitten der kapitalistischen Wirtschaft im Mittelpunkt der politischen Probleme und der Anstrengungen zur Entwicklung der Nationalstaaten in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. "Von daher wirft die Geschichte des Feminismus essentielle Fragen auf ... Geschlecherfragen ... zur politischen und intellektuellen Geschichte Europas und der modernen westlichen Welt, genau so wie die Geschichte der Frauen essentielle Fragen nach ihrer sozialen und ökonomischen Geschichte aufwirft."
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts waren Weltausstellungen der Schauplatz für die Präsentation und die Verherrlichung der Produkte, die für die entstehenden nationalen und internationalen Märkte hergestellt wurden. Eric Hobsbawm hat diese Ereignisse als gigantische Ritual der Selbstrepräsentation der "triumphierenden Welt des Kapitalismus" beschrieben.
So wurde mit den "Frauengebäuden", die zu den Weltausstellungen gebaut wurden, auch die Absicht verfolgt, den Geschlechterunterschied in Bezug auf eine eigene Marktwirtschaft zu lokalisieren. In Kontinentaleuropa ging es bei der Architektur der Frauengebäude und den darin gezeigten Ausstellungsgegenständen um die Festlegung der Frauen entweder als Verbraucherinnen oder als Produzentinnen. In den Vereinigten Staaten verfolgten die "Frauengebäude" einen anderen Zweck: ihre Architektur und Ausstellungen zielten auf die Einbindung des ökonomischen Potentials der Frauenbeteiligung in das öffentliche Leben ab. Das amerikanische "Frauengebäude" wurde zum Brennpunkt der Spendensammelaktionen von Frauen, es war ein Ereignis, das auf die Anziehung weiblicher Besucher gerichtet war oder ganz einfach ein Veranstaltungsort, der den weiblichen Beschäftigten auf einer Ausstellung Dienstleistungen anbot. In beiden Modellen wurde die Einbringung von Weiblichkeit in eine eigene Wirtschaftsordnung nicht vordergründig als Mittel zur breiteren Einbeziehung von Frauen in das öffentliche Leben und zur Herbeiführung einer Geschlechtergleichheit angesehen. Statt dessen dienten die "Frauengebäude" im Verhältnis zu den ökonomischen Impulsen, die ihre Errichtung beeinflussten, auch zur Bekräftigung der traditionellen Geschlechterrollen und stellten damit die Gleichberechtigung in Frage.
Dieser Konflikt, der eine größere Rolle der Frauen im öffentlichen Leben betonte, die über die veränderten feministischen Interessen nachdachten, während die traditionelle Geschlechterideologie bestärkt wurde, ist abzulesen sowohl in der Programmatik, als auch in der Architektur und den Diskursen um die Errichtung der acht Frauengebäude, die auf den europäischen und internationalen Ausstellungen zwischen 1873 und 1915 erbaut
wurden.

Paul
Sigel

(Dresden)

Expo-Architektur und Black Box

Multimediale Präsentationen, computergenerierte virtuelle Rauminszenierungen und spielerische interaktive Informationsvermittlung kennzeichnen den größten Teil der Ausstellungsbeiträge, die für die Expo 2000 in Hannover vorbereitet wurden. Gastgeber und Teilnehmerstaaten zeigen sich damit weitgehend auf dem aktuellen Stand hoch technologisierter und gleichzeitig den Entertainmentbedürfnissen der Rezipienten entsprechender Informationsaufbereitung. Diese Tendenz hat innerhalb der Geschichte der Weltausstellungen eine Traditionslinie, die sich spätestens anlässlich der Ausstellung in Osaka als Konflikt zwischen neuen Präsentationsmodi und ambitionierter, mitunter emblematischer Architektur nieder schlug. Die Expo 70 reflektierte eine bereits seit den 1930er Jahrenzu konstatierende und vor allem in Montreal 1967 bereits deutlich ausgeprägte Tendenzverschiebung in der Funktion von Weltausstellungen. Eindeutiger als bei jeder vorangegangenen Ausstellung demonstrierten die Teilnehmer in Osaka eine Abkehr von Exponat-gebundenen Präsentationen der Leistungskraft der jeweiligen Volkswirtschaften beziehungsweise der beteiligten Unternehmen zu Gunsten des Versuches, werbewirksame "Images" und "corporate identities" zu prägen, die sich jenseits von Produktakkumulation durch künstlerische oder populär-unterhaltsame Inszenierungen profilieren sollten. Mehr als bei jeder Ausstellung zuvor waren es entweder medial vermittelte Informationen über den jeweiligen Aussteller, oder aber vollständig abstrahierte Darstellungsformen, die einen Bezug zum Aussteller unter vollständigem Verzicht auf Objektpräsentationen lediglich über mehr oder weniger eindeutige Assoziationsketten möglich machte. Filmprojektionen, Klanginstallationen und vor allem ein spielerischer Zugriff zu einzelnen computergestützten Informationsträgern demonstrieren die gewandelten Ausstellungsformen. Die dadurch manifestierte Bedeutung multimedialer Inszenierungen stellte jedoch nicht nur den Typus Weltausstellung einmal mehr in Frage, sondern tangiert, gerade auch hinsichtlich der baulichen Manifestationen der Expo 2000, die Funktion von Architektur auf Weltausstellungen im Kern. Die "black box" als optimaler Rahmen für die neuen Präsentationsmodi konkurriert mit der redundant erscheinenden architektonischen Geste.

Ausstellungsstil und Inszenierung
Monika
Wagner

(Hamburg)

Techniken des Überblicks. Vertikale und horizontale Erschließungen früherer Weltausstellungen

 

Alexander C. T.
Geppert

(Florenz)

Ausstellungsmüde. Deutsche Großausstellungsprojekte und ihr Scheitern, 1880 - 1930

Dass es bis zum 1. Juni 2000 in Deutschland nie eine Weltausstellung gegeben haben wird, ist erst in den letzten Monaten im Zuge der Vorbereitung auf die Hannoveraner EXPO 2000 ins öffentliche Bewusstsein gerückt. In diesem Zusammenhang hat ebenfalls die lange Zeit vollkommen unbeachtet gebliebene, große Berliner Gewerbeausstellung von 1896 verstärkt an Aufmerksamkeit gewonnen und wird heute weniger als „verhinderte Weltausstellung", denn als direkter Vorläufer der Hannoveraner Ausstellung gehandelt - nicht zuletzt von Organisatorenseite selbst. Übersehen wird jedoch zumeist, dass die Berliner Ausstellung im Kontext einer jahrelang, sowohl im Deutschen Reich, als auch international ausgetragenen Kontroverse um die sogenannte „Weltausstellungsfrage" stand, in deren Verlauf auch das Medium selbst intensiv debattiert wurde. Mit einiger Berechtigung könnte die Berliner Gewerbeausstellung daher ebenfalls als das einzige, immerhin vergleichsweise fortgeschrittene Unternehmen in einer ganzen Reihe von gescheiterten Projekten ähnlicher Art gedeutet werden.
Die drei Ziele, die sich dieses Papier setzt, sind vor dem Hintergrund einer überhaupt nur in rudimentären Ansätzen existierenden Historiographie vergleichsweise bescheiden. In einem ersten Schritt gilt es, die verschiedenen deutschen Welt- und Großausstellungsprojekte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu identifizieren, kurz die jeweiligen Gründe ihres Scheiterns aufzuzeigen, sowie die sich daran entzündenden Debatten (1880, 1896, 1907) nachzuzeichnen. Warum hat in Deutschland niemals eine Weltausstellung stattgefunden? In einem zweiten Schritt sollen Bedeutung und Funktion des zentralen und immer wieder auftauchenden Begriffs der „Ausstellungsmüdigkeit" innerhalb dieser Debatten verortet werden. Durchgängig auf das generelle Überangebot des Mediums in der Öffentlichkeit zurückgeführt, mutet die Prominenz des Begriffes innerhalb eines deutschen Kontextes höchst kurios an. Lässt sich jedoch gerade die nationale Beschränkung dieses deutschen Diskurses als ein weiterer Beleg für den internationalen Charakter des „exhibitionary complex" anführen? Drittens soll an Hand von Entscheidungsfindungsprozessen und einzelnen Ausstellungssektionen der historische Ort der Gewerbeausstellung in einem weltweiten, dicht geknüpften Ausstellungsnetzwerk bestimmt werden. Obgleich historisch wie zeitgenössisch immer wieder als Beleg des Berliner Weltstadtcharakters und als Ausweis von städtischer Modrnität interpretiert, wurde sie - so meine zweite These - doch erst durch den bereits lange zuvor entfachten Diskurs zum weltausstellungsähnlichen Produkt geadelt.
Zum Einen möchte der Beitrag derart einige erste Ansatzpunkte für eine noch zu schreibende Theorie europäischer Ausstellungspraktiken liefern; zum Anderen gilt es, die These eines deutschen Sonderweges des internationalen Ausstellungswesens auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Monika
Meyer-Künzel


(Bonn)
Welt - Stadt - Ausstellung
Chancen und Probleme für die Stadtentwicklung der Veranstaltungsorte

Seit Beginn der Weltausstellungsbewegung betreiben die gastgebenden Orte einen immensen Aufwand, um sich im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit glanzvoll zu präsentieren. Immer wieder stellt sich die Frage, welchen Nutzen die Stadt aus dem Großereignis ziehen kann. Der historische Vergleich der planerischen Konzepte verdeutlicht den Wandel der Erwartungen und Absichten der Veranstalter. War zunächst nationaler oder persönlicher Prestigegewinn der Motir für die Durchführung, so wurde unter politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen und Zwängen der Rechtfertigungsdruck zunehmend größer. Eine langfristig rentable Folgenutzung rückte vermehrt in den Vordergrund. Vier städtebauliche Leitbilder für Weltausstellungen kristallisieren sich heraus: Die schöne Stadt: Stadtverschönerung und Freiflächenplanung. Ephemeres Zwischenspiel. Kontinuierliche Nutzung als Messegelände. Zu Nutzen der Stadt: Instrumentalisierung für die Stadtentwicklung. Auf der Grundlage der Typisierung der Konzepte lassen sich Chancen und Probleme der Planungen formulieren. Sie können Hinweise für die Beurteilung künftiger Planungsaufgaben geben.

Christoph
Cornelißen

Prag

Das Deutsche Reich auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Typus einer massenkulturellen Veranstaltung, der schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine eigentümliche Faszination auf ein millionenfaches Publikum ausgeübt hat. Mit einer Reihe von systematischen Fragen wird der deutsche Anteil an den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts einer kritischen Bewertung unterzogen. Dies umfasst einen kurzen Überblick über einige Grundzüge der Weltausstellungsgeschichte. Er werden sodann einige ausgewählte politische Aspekte der Selbstdarstellung einer „verspäteten Nation" untersucht. In einem abschließenden Teil werden die Überlegungen der deutschen Ausstellungsmacher zur kulturellen Darstellung des Deutschen Reiches untersucht. Im Hinblick darauf steht die Repräsentation der politischen Kultur im Vordergrund.

Peter
Proudfoot
and
Graham
Pont

Sydney

THE 1879 SYDNEY GARDEN PALACE INTERNATIONAL EXHIBITION
THE ORIGINS AND PRECURSORS OF THE INTERNATIONAL EXHIBITIONS

In einem Überblick stellt der Beitrag die verschiedenen historischen Stränge zusammen, die das Phänomen der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert ausmachen: der Markt, die Messe (aus der die Kunstexposition hervorging), die Technik-Ausstellung. Dass bei der Messe auch religiöse Momente enthalten sind, machen die Autoren an der Architektur (Dome, Kuppeln) und ihrer Nutzung (Zeremonien) fest. Der Export dieser Traditionen in Länder außerhalb Europas prägte auch die Garden Palace Ausstellung 1879 in Sydney, die – zunächst als regionale Ausstellung geplant – dann in eine internationale Ausstellung umgewandelt wurde.

Juri
Nikitin
St.-Petersburg
RUSSISCHE AUSSTELLUNGSHALLEN AUF WELTAUSSTELLUNGEN UND INTERNATIONALEN AUSSTELLUNGEN 1 8 5 1 - 1 9 1 7

Es wird ein großer Bogen geschlagen von der Beteiligung Russlands an der ersten Weltausstellung 1851 in London, über die ersten russischen Bauten zur Weltausstellung von 1867 in Paris bis hin zu einem voll ausgereiften Typ von russischen Ausstellungsgebäuden (Dresden 1911, Leipzig 1914, Malmö 1914, Venedig 1914). Auf all diesen Ausstellungen präsentierte sich Russland in den Formen der altrussischen Baukunst. Eine seltene Ausnahme von dieser Regel sind die russischen Pavillons zu den internationalen Ausstellungen 1911 in Rom und Turin, die im Stil der russischen klassischen Architektur gehalten sind.
Trotz des unvermeidbaren späteren Abrisses der Bauten strebten die russischen Architekten beständig nach einer hohen Qualität ihrer Werke. Sie waren bestrebt, ein originelles Abbild des nationalen Ausstellungspavillons zu kreieren. Deshalb war die Zuwendung zur altrussischen Baukunst ganz natürlich. Der von Russland beschrittene Weg bei der Beteiligung an großen Ausstellungen im Ausland war ein Weg zur Bestätigung der russischen Nationalkultur im Westen.

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Heft 2/99: Neue Kulturlandschaft Arbeits- und Lebensweltfür die Zukunft
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