|
|
In den allgemeinen
Diskussionen um den Zusammenhang von Stadtentwicklung und
Geschlechterverhältnissen und besonders innerhalb der feministischen
Stadtkritik spielen Begriff und Prozess, Ursachen und Auswirkungen der
Suburbanisierung eine herausragende Rolle. An keinem anderen Siedlungstypus
lässt sich eindrücklicher demonstrieren, dass Städte nicht
geschlechterneutral konstruiert sind, sondern dass Annahmen über die
Geschlechter und deren Rollen maßgeblich in die Anlage und Gestaltung der
Städte eingehen. Die städtischen Strukturen machen sich ihrerseits wiederum
als Voraussetzungen geltend, unter denen Geschlechterbeziehungen
ausgehandelt werden.
Die Kritik am suburbanen Lebensmodell stand an der Wiege der urban
gender studies, wie sie sich zu Beginn der 1970er
Jahre zuerst in den USA und dann auch in den anderen westlichen
Industrieländern formierten.
Seit diesen
Anfängen wurde Suburbia hundertfach verworfen: „As mere geographical
extension of our male-centered society, suburban environments offer a
secondary place to women, a place inhibiting the full expression of the
range of women‘s roles, activities, and interests“.[1]
Die Analyse und
Verdammung von Suburbia als „frauenfeindlicher Umgebung“, als ein Ort, der
die gesellschaftliche Unterordnung, ja Unterdrückung von Frauen in Beton
gießt, gehört heute zu den unhinterfragten Basisannahmen der kritischen und
feministischen Stadtforschung.
Im Folgenden möchte ich zeigen, dass diese Sichtweise auf Suburbia einseitig
ist. Sie ist das Ergebnis einer unzulässigen Verallgemeinerung der
besonderen fordistischen Konstellation von Stadtentwicklung und
Geschlechterbeziehungen auf die vorhergehende und die nachfolgende Periode.
Die diachrone Betrachtung des suburbanen Siedlungstypus von seinen Anfängen
im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit hinein macht
deutlich, dass das Bild des „einen“, ewig gleichen, unveränderlichen
Suburbia, wie es vor allem in feministischen Diskussionen gerne an- und
aufgerufen wird, nicht nur historisch und empirisch falsch, sondern auch in
theoretisch-konzeptioneller Hinsicht problematisch ist. Übersehen wird zum
einen, dass sich die Bedeutung eines Raumes oder Ortes ebenso wie die für
ihn charakteristische Beziehung von sozialräumlichen Strukturen und
Geschlechterarrangements mit veränderten gesellschaftlichen Bedingungen
ebenfalls grundlegend wandeln wird. So kann auch ein Ort, der sich rein
äußerlich innerhalb von 30 Jahren nicht verändert hat, dennoch materiell
und/oder symbolisch eine völlig andere stadt- und geschlechterbezogene
Bedeutung erlangt haben. Zum anderen wird übersehen, dass die je historisch
spezifische Bedeutung eines Raumes oder Ortes sich nicht einfach ergibt,
sondern das Ergebnis äußerst komplexer Konstruktionsprozesse und
vielfältiger Aushandlungs- und Deutungskämpfe
ist. Suburbia ist hierfür ein Paradebeispiel.
In diesem Sinne soll im Folgenden herausgearbeitet werden, dass Suburbia
als Prozess, Idee und Ideal niemals unumstritten, sondern immer wieder hart
umkämpft war – und bis heute ist. Suburbias „Geschlechtscharakter“ bzw. die
Geschlechterbilder und Geschlechterrollen, auf denen es aufruhte und die es
seinerseits prägte, bilde(te)n stets einen Fokus von zum Teil erbitterten
Auseinandersetzungen. Diese stehen im Mittelpunkt der folgenden
Ausführungen. Sie beziehen sich auf das nordamerikanische Suburbia und
ausdrücklich nicht auf die davon verschiedenen
Suburbanisierungstypen und -verläufe in Deutschland und Kontinentaleuropa.
Noch einige grundsätzliche Bemerkungen zum Verhältnis von Stadt und
Geschlecht. Ich betrachte Stadt und Geschlecht als zwei seit jeher engstens
aufeinander bezogene und sich gegenseitig stützende gesellschaftliche
Ordnungsfaktoren. Von Beginn an begründet ‚Stadt‘ ein sowohl
sozial-räumlich als auch sittlich-moralisch definiertes gesellschaftliches
Ordnungssystem. In beiden Aspekten ist es untrennbar mit einer bestimmten
Geschlechterordnung bzw. einer Geschlechter-an-ordnung verbunden.
Diese beruht auf fest gefügten Vorstellungen vom unterschiedlichen ‚Wesen‘
bzw. der ‚Natur‘ der Geschlechter und dementsprechend verteilten
gesellschaftlichen Rollen, Aufgaben und Verantwortungsbereichen, denen
wiederum bestimmte städtische Räume und Orte zugewiesen werden. Die
Errichtung und Erhaltung einer städtischen Ordnung impliziert aber nicht nur
die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter auf distinkte
physisch-materielle Sozialräume, sondern setzt sich fort in die
symbolisch-geschlechtliche Codierung dieser Räume – zum Beispiel als ‚männlich‘ im
Gegensatz zu ‚weiblich‘ oder als ‚wild-weiblich‘ im Gegensatz zu ‚domestiziert-weiblich‘.
Einerseits werden Räume geschlechtlich definiert, andererseits die
Geschlechter räumlich bestimmt (Frank 2003).
Zur Erläuterung meiner Thesen habe ich den nordamerikanischen Prozess
der Suburbanisierung grob in drei Phasen oder Wellen unterteilt:
1.
Von etwa
1830, vor allem ab 1870 bis Ende der 1920er Jahre: Die Konstruktion von
Suburbia aus dem Geiste symbolischer Dichotomien
2. Vom Ende der
1920er bis Ende der 1960er Jahre: Die ‚Verallgemeinerung‘ und Verfestigung
von Suburbia in der fordistischen Epoche;
3. Von den frühen
1970er Jahren bis zum Ende des 20. Jahrhunderts: Die Auflösung von Suburbia
in einer neuen Stadt in der postfordistischen Epoche.
1. Die Konstruktion von
Suburbia aus dem Geiste symbolischer Dichotomien
Suburbia ist ohne seinen innerem Bezugs- und Referenzpunkt, die moderne
kapitalistische Industriestadt, nicht zu denken. Katastrophale soziale,
sanitäre und hygienische Zustände herrschten bekanntlich insbesondere in den
beständig anwachsenden Arbeitervierteln. Enge und Überbevölkerung dehnten
sich zunehmend aber auch auf die angestammten Bezirke der Mittelschichten
aus und drohten die bürgerlich errichteten Grenzen zwischen privaten und
öffentlichen Räumen zu verwischen. Zugleich interpretierte das Bürgertum die
wachsende gesellschaftliche Bedeutung der Industriestädte gegenüber dem Land
als bedrohliches Zeichen einer wachsenden politischen Macht der
Arbeiterklasse.
Zentraler Bestandteil des Unbehagens der Bürger an der Industriestadt war
die Beobachtung der Auflösung der als ‚natürlich‘ betrachteten
Geschlechterordnung. Die Großstadt eröffnete Frauen zwar nach Alter,
Herkunft und Klasse sehr unterschiedliche, aber doch immer wieder
vielfältige Chancen, durch Erwerbstätigkeit von einem männlichen Ernährer
unabhängiger zu werden und so wenigstens partiell aus der zugedachten Rolle
der treusorgenden Hausfrau und Mutter auszubrechen. Viele Frauen sahen und
nutzten die Stadt also als Emanzipationsraum.
Aber nicht nur die zunehmende Teilhabe von Frauen an der Welt der Arbeit,
sondern auch die an der städtischen Welt des massenkulturellen Vergnügens,
des Konsums und des Abenteuers erschien vielen männlichen Beobachtern als
Gefährdung der körperlichen und vor allem moralischen Reproduktion der
Arbeitskraft in den Familien und somit als Gefährdung der Familie als
Keimzelle des bürgerlichen Staates insgesamt.[2]
Sinkende Heirats- und Geburtenziffern in den Städten sprachen diesbezüglich
eine alarmierend deutliche Sprache.
Im Zuge des radikalen und umfassenden Wandels hatte sich also die vormalige
Bedeutung von Stadt und Geschlecht, aufeinander bezogene, stabile
gesellschaftliche Ordnungssysteme zu sein, in ihr Gegenteil verkehrt.
Unordnung in der Stadt und Unordnung in den Geschlechterverhältnissen waren
untrennbar miteinander verbunden. Die Stadtkrise war eine Geschlechterkrise.
Mittelschichtfrauen und -männer stimmten in ihrer Wahrnehmung und der
Verurteilung der sozialen und sittlichen Zustände in den großen
Industriestädten überein. Einigkeit herrschte auch in
Bezug auf die Notwendigkeit der Bekämpfung
des Problems durch grundlegende gesellschaftliche Reformen. Weiterhin waren
sich beide Geschlechter darin einig, dass die Rettung der bürgerlichen
Gesellschaftsordnung nur von einer Stärkung der privaten Sphäre der Familie
und der mit ihr verbundenen ‚weiblichen‘ Normen und Werte ausgehen konnte.
Home, family und womanhood lauteten die
Schlüsselwörter, die, zur Zauberformel domesticity zusammengebunden,
von Mittelschicht-Männern und Frauen romantisiert und verherrlicht
wurden.
Diese Übereinstimmung war jedoch nur eine auf den ersten Blick. Vor allem
Margaret Marsh hat überzeugend herausgearbeitet, dass sich unter dem
Deckmantel von domesticity in Wirklichkeit zwei unterschiedliche
Reformmodelle verbargen - das eine von Männern, das andere von Frauen
geprägt. Die entscheidende Differenz, so meine These, geht dabei auf
Bewertung der Rolle zurück, die die Stadt in der Problemwahrnehmung spielt.[3]
Die suburbane Mission: Trennung von ‚home‘ und ‚world‘
Im männlich geprägten Diskurs erscheint die Stadt als die Ursache des
Zerfalls von bürgerlicher Moral und politischer Ordnung. Die tiefe
Beunruhigung über die Zustände in den Städten hatte die Bürger von diesen
entfremdet. Der Stolz auf die Metropolen, nicht zuletzt ja auch Quelle des
eigenen Wohlstands und der eigenen Stellung, schlug vielfach in Hass und
Furcht um. Auf die Schrecken der anomischen Großstadt reagierten die Bürger
mit der Konstruktion eines ruralen Idylls und der schwärmerischen
Verherrlichung der unkorrumpierbaren Werte des Landlebens. Der Dämonisierung
der Großstadt als Ort der schlechten Gesellschaft entsprach die Überhöhung
des Landes zum Hort der guten Gemeinschaft.
‚Back to the nature‘ aber hieß, wie Peter Schmitt betont, gerade nicht ‚back
to the farm‘. Das
alte ‚agrarische Ethos‘, das die sozialen und politischen Werte der
bürgerlichen Demokratie untrennbar mit dem Eigentum an Grund und Boden in
der ländlichen Natur verknüpfte, wurde suburban reformuliert. Das
Eigentum eines außerhalb, aber in Reichweite der Stadt gelegenen Hauses
würde den Mann und seine Familie wieder näher zur Natur bringen, zugleich
bürgerliche Werte und damit politische Stabilität verbürgen.[4]
Die männlichen Reformer sahen die Lösung der Stadt- und Geschlechterkrise
also in der Suburbanisierung, d.h. in der strikten physischen Trennung von ‚home‘
und ‚world‘, von privater und öffentlicher Sphäre. Diese Lösung beruhte auf
der Vorstellung einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Familie und
Gesellschaft sowie zwischen den damit verbundenen Werten.[5]
Das außerhalb der Stadt gelegene bürgerliche Eigenheim, sowohl Sitz als auch
Symbol des Familienlebens, wurde zum moralischen Fels in der Brandung von
Immoralität und Sünde, zur Bastion gegen die feindliche Außenwelt
stilisiert. Dreh- und Angelpunkt dieses Modells war die Frau. Der ‚cult
of domesticity‘ war zugleich ein ‚cult of true womanhood‘, eine
utopisierende Verherrlichung jener überlegenen Qualitäten der Frauen, die
die familiäre Sphäre zum Rückzugsort für die Männer und zur moralischen
Schule für die Kinder werden ließen.[6]
Mit der schwärmerischen Idealisierung von Frauen und der Verklärung von
weiblichen Werten ging aber zugleich die Begrenzung weiblicher Aktivität und
Verantwortung auf die häusliche Sphäre einher. Im männlich definierten
Modell der Suburbanisierung war die Entfernung der Frauen aus der Welt der
Stadt und der Erwerbsarbeit der zu entrichtende Preis für die unumschränkte
Macht im häuslichen Bereich.
Die urbane Mission: Verbesserung der Stadt zur ‚homelike world‘
Im Gegensatz dazu betrachteten reformorientierte bürgerliche Frauen die
Stadt nicht als Ursache gesellschaftlichen Zerfalls, sondern
‚lediglich‘ als den Ort, an dem anderweitig produzierte soziale
Probleme manifest wurden. Zwar erkannten diese Frauen grundsätzlich an, dass
das Familienideal, dem sie genauso anhingen, sich nicht mit der bestehenden
urbanen Umwelt vertrug
–
im Gegensatz zu ihren Männern propagieren sie deshalb aber nicht den Auszug
aus der Stadt, sondern deren physische, soziale und moralische Erneuerung.
Ihr Modell von ‚domesticity‘ zielte nicht
– wie es die Männer forderten
–
auf die räumliche Trennung von ‚home‘ und ‚world‘, sondern im Gegenteil auf
deren Verschmelzung zu einer ‚homelike world‘‘. Die Reformerinnen forderten
gerade nicht dazu auf, die Stadt zu verlassen. Vielmehr sollten die
weiblichen Werte der privaten häuslichen Sphäre auf die Stadt ausgedehnt
oder übertragen werden, um die Stadt nach dem Modell des ‚home‘ zu einem
Zuhause zu reformieren.[7]
Mit dieser anderen Bewertung gehen auch andere Vorstellungen von der
Stellung und der Rolle der Frau in der Gesellschaft einher. Die von den
bürgerlichen Reformerinnen formulierte Ideologie der Häuslichkeit war
ebenfalls um die kulturelle Institution der Familie zentriert, von der die
moralische Erneuerung der Nation ausgehen sollte. Der Macht- und
Einflussbereich der Frauen sollte in diesem Modell allerdings gerade nicht
auf die häusliche Sphäre beschränkt bleiben. Aus dem Anspruch, dass
diese auf alle anderen Lebensbereiche ausstrahlen sollte, leiteten die
Reformerinnen eine zentrale Rolle der Frauen bei der Veränderung der
Gesellschaft ab.[8]
Diese Rolle war öffentlich und hatte ihren Ort in der Stadt. Frauen
sollten ihre häusliche Rolle auf die Belange der Stadt ausdehnen, um die
Lebensbedingungen zu verbessern. Diese ambivalente Strategie, die
öffentliche Betätigung der Frauen mit dem Verweis auf ihre häusliche
Kompetenz zu legitimieren, findet sich nicht nur in der einflussreichen
Ratgeber-Literatur der Zeit, sondern vor allem auch bei
Philanthropie-Bewegung und bei den ersten Generation von Architektinnen und
Planerinnen[9].
Die männliche Mission war also eine suburbane, die weibliche eine urbane
Mission.[10]
Insofern reflektieren die Differenzen zwischen männlichem und weiblichem
Modell zugleich die oben skizzierten unterschiedlichen Erfahrungen, die
Männer und Frauen im 19. Jahrhundert mit der Stadt gemacht hatten.
Welches der beiden Modelle sich durchsetzte, ist hinreichend bekannt. Obwohl
organisierte Frauenverbände noch lange dagegen kämpften, begann die
Suburbanisierung sich ab den 1870er Jahren immer stärker durchzusetzen. Vor
allem Elizabeth Wilson hat die These vertreten, dass die im 19. Jahrhundert
entstehende und ausschließlich von Männern geprägte Disziplin der
Stadtplanung auch als Prozess des gezielten
Ausschlusses von Frauen, Kindern und anderen störenden Elementen aus der
bunten Welt der Stadt zu lesen ist[11].
Aus der Sicht der Männer präsentierte sich die Suburbanisierung jedenfalls
als ideale Lösung der Stadt- und Geschlechterkrise. Sie war hervorragend
geeignet, Frauen von der Stadt als der Welt der Lohnarbeit, der kulturellen
Heterogenität und der Rollenexperimente fernzuhalten. Suburbanisierung
sollte die politisch, ökonomisch und kulturell aus den Fugen geratene
bürgerliche Ordnung im Allgemeinen und die Geschlechterordnung im Besonderen
durch die räumliche Trennung von öffentlichem und privatem Raum, von City
und Suburb restabilisieren. Der Suburb bezog seine raison d‘être
gerade aus der Entgegensetzung zur city
–
„physisch nahe
an der Stadt, psychisch jedoch Welten entfernt“, wie Marsh es treffend
formulierte.[12]
Gender Trouble
Wenn aber der Siegeszug der Suburbanisierung einerseits von vielen
Forscherinnen als eine Niederlage für Frauen interpretiert und beklagt wurde
(und wird), so war andererseits der Sieg des männlich geprägten Modells
zunächst keiner auf der ganzen Linie bzw. wurde nicht uneingeschränkt
gefeiert. Man könnte fast sagen, der Schuss ging zunächst nach hinten los.
Anstatt die gewünschte traditionelle Ordnung der Geschlechter wieder
herzustellen und räumlich abzusichern, schien Suburbia sich kaum weniger als
die Stadt zu einem Ort zu entwickeln, an dem mit neuen Geschlechterrollen
experimentiert werden sollte. Teils mit Besorgnis, teils mit offenem
Entsetzen stellten die Beobachter fest, dass viele familienorientierte
Frauen die ihnen in den Sonntagsreden von Heim, Herd und Familie
zugebilligte ‚natürliche‘ Autorität jetzt auch tatsächlich für sich
reklamierten. Alarmiert (und immer zugleich auch fasziniert) wurde von einer
„aggressiven Dominanz“ von Frauen in den Vorstadtsiedlungen berichtet. Als
so stark galt die Vorherrschaft der Frauen, dass ein Autor 1905 sogar der
Sitz der Frauenbewegung von der Stadt nach Suburbia verlagerte: „The female
suburban shapes the male, and is the principal agent of change.
Among other
modern heresies, the grand principle of female independence had its rise in
suburbia“.[13]
In nicht wenigen
Texten ist vom „suburbanen Matriarchat“die Rede. Von der viel beschworenen
Dominanz der weiblichen Werte im suburbanen Heim fühlten sich viele Männer
nun durchaus bedroht. Und wiederum wurde das sozial-moralische Klima einer
physischen Umwelt für ein Übel verantwortlich gemacht. Gerade eben noch
Königsweg aus der Stadt- und Geschlechterkrise, schienen die
Vorstadtsiedlungen nun ihrerseits zur Ursache eines neuen Ordnungsproblems
in den Geschlechterbeziehungen zu werden: nämlich des Autoritätsverlusts,
der Unterdrückung und „Unterordnung des Mannes in der modernen Familie“.[14]
Suburbias Frauen dagegen schienen im männerlosen Alltag bestens
klarzukommen. Gefühle von Einsamkeit und Langeweile, wie sie aus der zweiten
Phase der Suburbanisierung bekannt sind, schienen sowohl den
familienorientierten “Matriarchinnen” als auch den weniger häuslichen
Bewohnerinnen von Suburbia fremd zu sein. Viele Frauen setzten ihr
soziales und politisches Engagement auch nach Verlassen der Stadt fort: In
den suburbanen Wohngebieten schossen Women‘s Clubs wie Pilze aus dem
Boden.
|
Abbildung 5:
Ward 1917
Abbildung 6:
Stilgoe 1988: 17 |
|
Von der in der ersten Phase wahrgenommenen „aggressiven Dominanz“ der
stolzen Herrscherinnen von Heim und Herd war also nichts mehr übrig
geblieben. Ab und an war zwar noch von einem „suburbanen Matriarchat“ die
Rede,[25]
aber darin versteckte sich keine Respektsbekundung mehr. Die Ansprüche an
eine gute Haus-Frau, Gattin und Mutter waren nach wie vor hoch, aber Arbeit
und Anstrengungen, die es kostete, diese zu erfüllen, erfuhren keine
gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung mehr, sondern wurden
allgemein bemitleidet, belächelt oder gar verächtlich gemacht. Dies zeigt
sich aufs Schönste, wenn man die Darstellungen
Auto fahrender Frauen aus der ersten und der zweiten Phase der
Suburbanisierung nebeneinander hält (Abbildungen 5 und 6).
Dieser negative Stereotyp wirkte auf
Suburbias Bewohnerinnen zurück. Wenn der soziale Status ‚suburbane
Haus-Frau‘ in der ersten Welle der Suburbanisierung noch Ausgangspunkt
weiblichen Selbstbewusstseins und moralischer und familiärer Autorität sein
konnte, so erschien er in der zweiten nurmehr als Quelle von Unsicherheits-
und Minderwertigkeitsgefühlen. Immer mehr Frauen empfanden das suburbane
Dasein als eine Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Ausbruchsversuche sind
in dieser Periode ebenso spärlich dokumentiert wie Versuche, sich offensiv
gegen die zugedachten Geschlechterrollen und Rollenklischees zur Wehr zu
setzen. Stattdessen gebar Suburbia eine eigene Psychopathologie der
„suburban gefangenen Hausfrau“. Die Literatur ist voll von
“Überfrauen-Komplexen”, „suburbanen Neurosen“, Suchtproblemen,
Geisteskrankheiten und Selbstmordversuchen, die auf die Langeweile,
Frustration und Isolation des Lebens in Suburbia zurückgeführt wurden.
Das Gefängnisgefühl war dabei aber nicht nur auf die räumliche
Abgeschiedenheit der Suburbs, ihre monofunktionale Ausrichtung auf familiäre
Reproduktion und die mangelnde Mobilität von Frauen zurückzuführen. Ebenso
schwer wog das ‚Suburbia in den Köpfen‘, die fixe Rollenzuschreibung, die an
Suburbia geknüpft war und die ein Ausbrechen ganz und gar illusorisch
erscheinen ließ. Die Schriftstellerin Shirley Jackson beschreibt ihre
Auseinandersetzung mit der unerschütterliche Rezeptionistin eines suburbanen
Krankenhauses:
„Age?“ she asked. „Sex? Occupation?“
„Writer,“ I said.
„Housewife,“ she said..
„Writer,“ I said.
„I‘ll just put down housewife,“ she said.[26]
Mit dem Erscheinen von Betty Friedans Bahn brechendem Buch „The Feminine
Mystique“ im Jahre 1963, in dem sie Suburbia als Ort und Ursache eines
pathologischen „Weiblichkeitswahns“ analysiert, wurde die Kritik erstmals
offen feministisch. Fortan wurde Suburbia in den entstehenden urban gender
studies als eine „antifeministische Umgebung“ analysiert und verurteilt.[27]
3. Die Auflösung von
Suburbia in der ‚neuen Stadt‘
Im Zuge des umfassenden, als Globalisierung bezeichneten Strukturwandels
begann in den frühen 1970er Jahren eine
neue, die dritte Phase der Suburbanisierung, die durch die Dezentralisierung
von Unternehmen aus dem Produktions- wie aus dem Dienstleistungsbereich
gekennzeichnet war. Schon bald überholten die Suburbs die alten Zentren in
der Anzahl von Arbeitsplätzen.[28]
Die in den 1970er und 1980er Jahren
entstandenen „superregionalen Shopping Center“ fungierten nicht mehr nur als
Einkaufs-, sondern zunehmend auch als Kultur-, Freizeit- und
Gemeindezentren. Alle vormals städtischen Funktionen waren nun in Suburbia
versammelt.
Damit hat sich das Verhältnis von City und Suburb im letzten Drittel des 20.
Jahrhunderts grundlegend gewandelt. Suburbs sind nicht länger als von den
Inner Cities abhängige, diesen unter- und nachgeordnete städtische Räume,
also als Sub-Urbs zu betrachten. Vielmehr sind sie zu eigenständigen,
dynamischen, mit den Städten auf komplexe Weise zugleich konkurrierenden und
interagierenden Entwicklungspolen gereift.
Wie zu zeigen ist, ließ der ökonomische und technologische Strukturwandel
auch die etablierten Geschlechter- und Raumordnungen nicht unberührt. Im
folgenden möchte ich die These erläutern, dass es gerade die mit dem
Suburbia der fordistischen Phase verknüpften Geschlechterbilder und die
Lebenssituation der suburbanen Haus-Frauen waren, die in den umfassenden
Restrukturierungsprozessen der 1970er und 1980er
Jahre von Unternehmern als Standortfaktoren entdeckt und genutzt wurden,
dadurch zugleich aber auch dynamisiert und verändert worden sind.
Mehrere Untersuchungen haben belegt, dass es nicht allein die altbekannten
Standortfaktoren wie bessere Verkehrsanbindung, günstigere Bodenpreise oder
niedrigere Mietkosten waren, die viele Manager veranlassten, ihr Unternehmen
ganz oder teilweise nach Suburbia zu verlagern. Diese Maßnahme zielte sehr
häufig auch auf die Erschließung jenes dort räumlich isolierten, bisher
unerschlossenen Pools an weiblichen Arbeitskräften.
In ihrer mittlerweile klassischen Studie hat Kristin Nelson den aus Gründen
der Kostenersparnis erfolgenden Prozess der Verlegung so genannter
nachgeordneter Büro- und Verwaltungstätigkeiten aus den Cities in die
Suburbs am Beispiel der San Francisco Bay Area untersucht.[29]
Mit der Verlagerung der Betriebsfunktionen ging hier nicht nur die
massenhafte Umwandlung von Vollzeit- in flexibilisierte
Teilzeitarbeitsplätze einher. Die Dezentralisierung der back offices
diente auch der gezielten Erschließung eines begehrten Reservoirs an
weiblichen Arbeitskräften, das bisher aufgrund seiner sozialräumlichen
Isolation nicht verfügbar war: Im Zuge der Auslagerung von Betriebsteilen
wurde systematisch die als sozial problematisch geltende Gruppe der in den
Innenstädten konzentrierten statusniedrigen, häufig alleinerziehenden,
häufig ethnischen Minderheiten angehörenden Frauen durch die ebenfalls
weibliche, aber unproblematisch erscheinende Belegschaft weißer,
mittelklassesozialisierter Suburb-Frauen ersetzt. Ihre oftmals prekäre
soziale Situation verunmöglichte es Innenstadtbewohnerinnen sehr häufig,
sich mit den relativ schlechten Arbeitsbedingungen abzufinden. Im
Unterschied dazu begrüßten Suburbias Frauen die flexiblen Teilzeit-Jobs in
Zeiten sinkender Realeinkommen als willkommenen „Zuverdienst“.
Damit gehören die verschiedenen biographischen Muster und Lebenssituationen
der Suburb- und der Innenstadtfrauen heute somit zu den markantesten
Differenzierungsfaktoren in der Standortkonkurrenz.[30]
Die auf den skizzierten Geschlechterbildern und Einschätzungen
aufruhenden ökonomischen Entwicklungen und Entscheidungen sind zugleich
Ausdruck, Resultat und Katalysator der wachsenden Differenzierung und
Polarisierung der Erwerbs- und Lebenslagen von Frauen nach Klasse und
Ethnizität, und, damit eben aufs engste verbunden, nach Wohnort. Wie
gesehen, können die (männlichen) Firmenleiter dabei die Lebenslagen der
City- und der Suburb-Bewohnerinnen gezielt gegeneinander ausspielen. Indem
die Unternehmen die Tendenz zur immer schärferen und zugleich
kleinräumigeren sozialen Polarisierung und Segregierung der
Stadtlandschaften für ihre Zwecke nutzen, verstärken sie diese noch.
Viele andere Untersuchungen bestätigen diese Befunde.[31]
Dass es tatsächlich gerade die weiblichen Arbeitskräfte sind, die bei der
Standortwahl gezielt aufgesucht werden, zeigt die Untersuchung von Carlson
und Persky, die belegen, dass niedrigere Lohnkosten in Suburbia kein
allgemeiner Vorteil sind, sondern gerade die Frauenlöhne betreffen.[32]
Bei Männern sind urbane und suburbane Gehälter bis auf wenige Ausnahmen, die
gering qualifizierte Tätigkeiten betreffen, nahezu identisch. Auch Joel
Garreau stellt in seiner Untersuchung zu den boomenden Edge Cities fest,
dass deren Blüte niemals so hätte stattfinden
können ohne den massenhaften Einstieg suburbaner Frauen in die
Erwerbsarbeit.[33]
[34]
Den Interessen der Unternehmer kam dabei die schwierige Wirtschaftslage
nicht nur der öffentlichen, sondern auch der privaten Haushalte vor allem in
den 1970er Jahren
entgegen. Angesichts explodierender Lebenshaltungskosten, steigender
Inflationsraten und explodierender Kosten für Hauseigentum sahen sich viele
Frauen aus schierer Notwendigkeit zum (Wieder-)Einstieg in das Erwerbsleben
veranlasst.[35]
Der allgemeine Wandel von Werten und Einstellungen, zu denen ein nicht
zuletzt auch der Frauenbewegung geschuldetes schrittweises Aufweichen des
„Weiblichkeitswahns“ gehörte, erleichterte den Frauen diese Entscheidung.
Heute ist eine im Suburb lebende Frau mit höherer Wahrscheinlichkeit
erwerbstätig als eine Innenstadtbewohnerin.[36]
Haushalte mit zwei Einkommen werden zum Regelfall; Frauen arbeiten auch dann
häufiger außerhäusig, wenn die Kinder noch klein sind.
„The
homemaker wife of 1960 is no longer the norm“, konstatiert Wilson.[37]
Die beschriebenen
Veränderungen der funktionalen und sozialräumlichen Strukturen der Suburbs
drücken sich auch in der Heterogenisierung der demographischen
Zusammensetzung und der Pluralisierung der Lebensstile aus. Verschiedene
Studien haben gezeigt, wie die vormaligen charakteristischen Merkmale des
suburbanen Familiarismus der klassischen Phase
– wie Verheiratetenstatus, Kinderbezogenheit und geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung – ihre Dominanz in der nachindustriellen Phase zugunsten von anderen
Lebens- und Haushaltsformen einbüßen.[38]
Damit zeichnet sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine grundlegende
Umkehrung der Bedeutungen von City und Suburb für die Lebenslagen ihrer
Bewohnerinnen ab. Weit von ihrer vormaligen Bedeutung entfernt,
middle-class-Frauen vom städtischen Erwerbsleben zu isolieren und auf eine
„neighborhood“-orientierte Häuslichkeit festzulegen, wurden nun ausgerechnet
die Suburbs zum Setting der Reintegration von Suburbias Frauen in die
Erwerbsbevölkerung der Dienstleistungsgesellschaft[39]
–
und das eben gerade weil es sich bei den neuen Arbeitsverhältnissen
größtenteils um jene sozial prekären, schlecht bezahlten, flexiblen und
ungesicherten Teilzeitjobs handelte, die eben keine langen Anfahrtswege
rechtfertigten und mit den primären häuslichen und familiären Pflichten
zeitlich vereinbar waren. Die Falle wurde zum Sprungbrett.
Erleben wir also eine umfassende Entideologisierung all dessen, was
suburbanism as a way of life einmal ausgemacht hat? Darüber gehen die
Meinungen auseinander. Einerseits deuten viele Anzeichen darauf hin, dass
das ‚Suburbia in den Köpfen‘ fortexistiert. So beklagt eine Reihe von
Forschern, dass sich Suburbia zwar grundlegend wandele, nicht aber unsere
davon im „‚golden age‘ of suburbia“[40]
geprägten Vorstellungen.[41]
Diese Feststellung scheint bis heute Gültigkeit zu beanspruchen. So wird
etwas ratlos konstatiert, dass ungeachtet des Bedeutungswandels der Suburbs
die Anzahl der Soaps und Werbefilme, die die heile suburbane Familienwelt
inklusive der bekannten Geschlechterbilder und Geschlechterrollen
beschwören, eher noch zunimmt und also vor allem in der Populärkultur fest
verankert ist.[42]
Eine andere Studie kann anhand einer Vielzahl von Fernseh- und Kinofilmen,
namentlich Hollywoodproduktionen zeigen, dass das suburbane Ideal gehegt,
gepflegt und mit allen Mitteln, notfalls auch militant, verteidigt wird.[43]
(Immerhin scheint es also massive Angriffe auf dieses Ideal zu geben, könnte
man hier –
vielleicht etwas zu spitzfindig
– einwenden.) Nichtsdestoweniger unterstreichen diese Beobachtungen die
Aktualität von Barry Schwartz‘ früher Bemerkung, dass das Gesicht der
Suburbs sich zwar verändern möge
– deren ,Seele‘ deswegen aber noch lange nicht.[44]
Wie es scheint, lebt Suburbia als machtvolle kulturelle Idee bis heute fort.
Andererseits gibt es aber auch Risse in diesem Bild. Robert Beauregard hat
darauf hingewiesen, dass die Bilder, die Garreau mit seiner Edge City
verbindet, „eindeutig männlich“ konnotiert sind.[45]
In der Bau- und Immobilienbranche, die diese Gebiete erschließt, werden die
leitenden und einflussreichen Positionen von Männern besetzt. Der Stil der
Branche ist aggressiv. Diese Interpretation weist darauf hin, dass,
zumindest was die Edge Cities angeht, das Bild von Suburbia als einer primär
und essentiell weiblich-mütterlich-häuslich geprägten Umgebung brüchig wird.
Bestätigt und konterkariert zugleich wird diese Beobachtung
–
ebenso wie die oben genannte von der Persistenz der Bilder
– durch eine Reihe neuerer literarischer und filmischer Werke
wie T. C. Boyles Roman América oder Sam Mendes’ Kinofilm American
Beauty, in denen Suburbia als Setting einer Krise von Männlichkeit
erscheint; als der Ort, an dem nicht mehr nur Frauen, sondern auch Männer an
den zugeschriebenen Rollenmustern und Verhaltenserwartungen verzweifeln.
Ausbruchsversuche aber werden mit Unglück oder Tod
bestraft. Ebenso wie das alte ist also auch das neue Bild von
Suburbia bis heute hoch umkämpft – die Auseinandersetzungen dauern an, ihr
Ausgang ist offen.
Schluss
Während der dritten Welle der Suburbanisierung haben sich Gesicht, Rolle und
Bedeutung von Suburbia erneut grundlegend verändert. Suburbs entwickelten
sich von Wohnvororten zu mit allen städtischen Funktionen ausgestatteten
eigenständigen Entitäten und zu Knotenpunkten innerhalb verstädterter
metropolitaner Regionen. Als Folge ist auch die für die Entstehung,
Entwicklung und Verallgemeinerung von Sub-Urbia ausschlaggebende,
sinnstiftende Abgrenzung von der großen Stadt bei gleichzeitiger enger
Bezogenheit auf dieselbe obsolet geworden.
So ist am Beginn des 21. Jahrhunderts von den materiellen und symbolischen
Grundlagen, Überzeugungen und Bewertungen, auf denen Suburbia als
sozialräumlicher Prozess und bürgerliche Utopie einst gründete, empirisch
kaum etwas übrig geblieben. Robert Fishman ist deshalb vorsichtig
zuzustimmen, wenn er feststellt, dass die Geschichte von Suburbia in den
neuen metropolitanen Regionen zu Ende geht.[46]
Dies gilt jedenfalls dann, wenn man jene stadtsoziologischen Begriffe
zugrunde legt, wie sie sich an der modernen kapitalistischen Industriestadt
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausgebildet haben. Mit ihnen sind
Struktur und Gestalt weder der ‚neuen Suburbs‘ noch der ‚alten Zentren‘ noch
die dezentralen Stadtlandschaften, in die sich beide auflösen, angemessen zu
beschreiben und zu analysieren. Über neue Begriffe aber verfügen wir (noch)
nicht, wie die verbreitete Verwendung des Präfix ‚post‘ (postindustriell,
postfordistisch, posturban) zur Charakterisierung der entstehenden
Stadtregionen bezeugt.
Ein Ziel dieser Ausführungen war es zu zeigen, dass es sich bei Suburbia von
Beginn an um eine untrennbar mit bestimmten Geschlechterrollen und
Geschlechterbildern verbundene, ja auf diesen aufruhende sozialräumliche
Formation und Lebensform handelte. Zugleich aber wollte ich hervorheben,
dass Suburbia als Prozess, kulturelles Ideal und Geschlechtergeographie
vielfältigen Aushandlungs- und Veränderungsprozessen unterworfen und seine
Deutung niemals wirklich unumstritten war.
Dieser letztere Aspekt geht auch und gerade in der feministischen Diskussion
häufig unter. Nicht zufällig ist es die zweite, fordistische Phase der
Suburbanisierung, d.h. die Zeit der rapiden Verallgemeinerung der suburbanen
Lebensform, die unser Bild vom Sozialraum Suburbia bis heute entscheidend
prägt. Insofern die Verbreitung des suburbanism as a way of life in
der fordistischen Phase auf der Durchsetzung des typischen Lebensmodells der
bürgerlichen Kleinfamilie mit vollerwerbstätigem männlichem
Haushaltsvorstand einerseits und Vollzeit-Hausfrau und Mutter andererseits
beruhte, steht der Begriff Suburbia in der feministischen Stadtforschung für
jenen sozialen Raum, der in seiner inneren Konstruktion wie kein anderer den
dichotomischen Strukturen folgt, die die kulturelle Logik des westlichen
patriarchalen Industriekapitalismus ausmachen.
Die nachhaltige Dominanz dieses Bildes von Suburbia lässt die erste,
umkämpfte Phase in Vergessenheit geraten und verstellt oftmals den Blick auf
die Entwicklungen der jüngeren Zeit. Insofern war es mein Anliegen, die in
der feministischen Stadtforschung sehr prominente These von Suburbia als
einer „antifeministischen Umgebung“ nicht zurückzuweisen, wohl aber zu
differenzieren und zu modifizieren.
Ebenso wenig wie dieses pauschale Verdikt ist meines Erachtens aber auch
jene optimistische These zu halten, die den sozialräumlichen Mustern der
postindustriellen Stadtlandschaften per se emanzipatorische Wirkung
zuschreibt. (Wenn diese Beobachtung einer suburbanen Angleichung von
Geschlechterrollen einen wahren Kern hat, so bestätigt sie ein weiteres Mal
eindrucksvoll die (alte) These der (vergleichsweise jungen) urban gender
studies, dass das Aufbrechen von starren Rollenmustern stark von
pluralen, heterogenen, multifunktionalen, in einem Wort: städtischen
Umwelten abhängt.) Gegen Fishmans und Garreaus begeisterte Stilisierung des
‚neuen‘ Suburbia zu Ort und Katalysator einer neuen
Geschlechtergerechtigkeit möchte ich kritisch vermerken, dass erstens die
steigende Beteiligung von Frauen an der Erwerbstätigkeit weder etwas über
eine gerechtere Verteilung und Bezahlung der Erwerbsarbeit noch über die
Aufteilung der Haus- und Familienarbeit aussagt. Zweitens ist die schöne
neue Arbeitswelt auch der suburbanen Büro-, Gewerbe- und
Dienstleistungsparks in hohem Maße geschlechtshierarchisch strukturiert.
Drittens und vor allem zeitigt die Blüte der Suburbs direkte und indirekte
Folgen für die sozialräumliche und sozialstrukturelle Entwicklung der
Innenstädte, in denen die Mittelschichten weiter ausdünnen. Von der
Abwanderung der Jobs in die Suburbs sind dort auch und gerade Frauen
betroffen. Zunehmende soziale und räumliche Segregation nach Geschlecht,
Klasse und Ethnizität sind die Folgen.[47]
Nicht zufällig hat die Feminisierung der Armut ihren zentralen Ort in den
Inner Cities.
Vor diesem Hintergrund und auf der Basis einer geschlechterkritischen
Perspektive möchte ich in diesem Zusammenhang auch grundlegende Zweifel an
Robert Fishmans Schlussfolgerung aus seiner (ansonsten wirklich
ausgezeichneten) Suburbia-Studie anmelden, dass im Angesicht der posturbanen
Stadtlandschaften das Denken in binären Oppositionen obsolet geworden sei.[48]
Zwar ist die Diagnose nicht von der Hand zu weisen, dass die für die Phasen
der Entstehung und Verallgemeinerung von Suburbia so essentielle
Entgegensetzung von City=männlich=öffentlich=rational und
Suburb=weiblich=privat=emotional usw. heute immer stärker in den Hintergrund
tritt. Deshalb aber von einer Ent-Polarisierung von städtischen und
suburbanen Geschlechter- und Raumbildern auszugehen, halte ich für verfehlt.
Wie gesehen, arbeitet die Konstruktion von City und Suburb aus dem Geiste
symbolischer Dichotomien heute erneut mit der Spaltung von Weiblichkeit und
deren Verbindung mit Klasse und Ethnizität: mit der Polarisierung von
suburbaner, d. h. weißer, domestizierter, traditioneller middle-class
Weiblichkeit einerseits und städtischer, d. h. farbiger, aufrührerischer,
ungebändigter, wilder underclass-Weiblichkeit andererseits.
Bildquellen:
Abbildung 1: Ward 1917.
Abbildung 2: Baxandall/Ewen 2000.
Abbildung 3: Images of
American Political History,
http://teachpol.tcnj.edu/amer_pol_hist/thumbnail429.html
Abbildung 5:
Ward 1917.
Abbildung 6: Stilgoe 1988: 17.
Literaturverzeichnis:
Baldassare, Mark:
Trouble in Paradise. The Suburban Transformation of America, New York 1986.
Baran,
Barbara:
Office Automation and Women‘s Work: The Technical Transformation of the
Insurance Industry, in: Manuel Castells (Ed.): High Technology, Space
and Society, Thousand Oaks, Calif. 1985, S. 143-171.
Baxandall, Rosalyn / Ewen, Elisabeth:
Picture Windows. How the Suburbs Happened, New York 2000.
Beauregard, Robert A.:
Edge Cities: Die Peripherisierung des Zentrums, in: Walter Prigge
(Hg.): Peripherie ist überall, Frankfurt am Main / New York 1998, S. 52-61.
Birch,
Eugenie Ladner:
From Civic Worker to City Planner: Women and Planning, 1890-1980, in:
Donald A. Krueckeberg (Ed.): The American Planner Biographies and
Recollections, New York / London 1983, S. 396-427.
Carey,
John:
The Intellectuals and the Masses. Pride and Prejudice Among the Literary
Intelligentsia, 1880-1939, New York 1992.
Carlson,
Virginia / Persky, Joseph:
Gender and Suburban Wages, in: Economic Geography 75 (1999), No. 3, S.
237-253.
Davison,
Jane
(with Leslie Davison): To Make a House a Home. Four Generations of
American Women and the Houses they Lived in, New York 1994.
Donaldson, Scott:
The Suburban Myth, New York / London 1969.
Fava,
Sylvia Fleiss:
Suburbanism as a Way of Life, in: American Sociological Review 21 (1956),
February, S. 34-38.
Friedan,
Betty:
The Feminine Mystique. With a New Introduction and Epilogue by the Author,
Second Printing New York 1979 (1963).
Fishman,
Robert:
Bourgeois Utopias. The Rise and Fall of Suburbia, New York 1963).
Fishman,
Robert:
Megalopolis Unbound, in: Philip Kasinitz (Ed.): Metropolis. Centre and
Symbol of Our Times. Houndmills et al. (1990), S. 395-412.
Fishman,
Robert:
Urbanity and Suburbanity. Rethinking the ‚Burbs‘, in: American Quarterly,
Vol. 46 (1994), No. 1, March, S. 35-39.
Fromm, Erich:
Der moderne Mensch und seine Zukunft: eine sozialpsychologische
Untersuchung, Frankfurt/Main 1960.
Gans, Herbert:
Die Levittowner. Soziographie einer ‚Schlafstadt‘, Gütersloh 1969.
Garreau,
Joel:
Edge City: Life on the New Frontier, New York 1991.
Hanson,
Susan / Pratt, Geraldine:
Gender, Work and Space, London / New York 1995.
Henderson, Harry:
The Mass-Produced Suburbs. How People Live in America‘s Newest Towns, in:
Harper‘s Magazine 11 (1953a), S. 25-32.
Henderson, Harry:
Rugged American Collectivism. The Mass-Produced Suburbs, Part II, in:
Harper‘s Magazine 12 (1953b), S 80-86.
Jackson,
Kenneth:
The Crabgrass Frontier. The Suburbanization of the United States, New
York/Oxford 1985.
Jackson,
Shirley:
Life Among the Savages, Chicago 1990.
Jeffrey,
Kirk:
The Family as Utopian Retreat fron the City. The Nineteenth Century
Contribution, in: Soundings. An Interdisciplinary Journal (1972), Spring, S.
21-41.
Keats;
John:
The Crack in the Picture Window, Cambridge, Ma. 1956.
Lerner,
Max:
The Suburban Revolution, in: America as Civilisation. Life and Thought in
the United States Today, New York 1957, S. 172-182.
Lewis,
Paul:
Shaping Suburbia: How Political Institutions Organize Urban Development,
Pittsburgh 1996.
Mackenzie, Suzanne:
Building Women, Building Cities: Toward Gender Sensitive Theory in the
Environmental Disciplines, in: Caroline Andrew / Beth Moore Milroy
(Eds.): Life Spaces. Gender, Household, Employment, Vanvouver 1988, S.
13-30.
Marsh,
Margaret:
Suburban Lives, New Brunswick / London 1990.
Mumford, Lewis:
Die Stadt. Geschichte und Ausblick.
2 Bände, 3.
Auflage München 1984 (1961).
Nelson,
Kristin:
Labor Demand, Labor Supply and the Suburbanization of Low-Wage Office Work,
in: Allen J. Scott / Michael Storper (Eds.): Production, Work,
Territory. The Geographical Anatomy of Industrial Capitalism, Winchester,
Ma. (1986), S. 149-171.
Pearson,
Norman:
Hell is a Suburb. What Kind of Neighborhoods Do We Want? in: Community
Planning Association of Canada (Ed.): Community Planning Review Vol. 7 No.
3, Ottawa 1951, S. 124-128.
Peterson, William:
The Ideological Origins of Britain‘s New Towns, in: Journal of the American
Institute of Planners, Vol. 3, May 1968, S. 160-170.
Riesman, David:
Die Einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen
Charakters, Darmstadt/Berlin-Frohnau/Neuwied am Rhein 1956.
Riesman,
David:
The Suburban Dislocation, in: Annals of the American Academy of Political
and Social Science Vol. 341 (1957), S. 123-146.
Schwartz, Barry:
Images of Suburbia: Some Revisionist Commentary and Conclusions, in: ders.
(Ed.) The Changing Face of the Suburbs, Chicago/London 1976, S. 325-340.
Seeley,
John R. / Sim, Alexander / Loosley, Elizabeth W.:
Crestwood Heights. A Study of the Culture of Suburban Life, New York 1956.
Sharpe,
William / Wallock, Leonard:
Bold New City or Built-Up ‚Burb‘? Redefining Contemporary Suburbia, in:
American Quarterly Vol.46 (1994), No.1, March, S. 1-30.
Stein,
Maurice R.:
Suburbia: Dream or Nightmare, in: ders: The Eclipse of Community. An
Interpretation of American Studies, New York/Evanston/London 1960, S.
199-226.
Thorns,
David:
Suburbia, London 1972.
Stilgoe,
John
(1988) Borderland. Origins of the American Suburb, 1820-1939, New Haven and
London.
Ward,
Hilda:
The Automobile in the Suburbs from a Woman‘s Point of View, in: Suburban
Life Vol.V (1907), No.5, November, S. 269-271.
Weigel, Sigrid:
Zur Weiblichkeit imaginärer Städte, in: Gotthard Fuchs / Bernhard
Moltmann / Walter Prigge (Hg.)
Mythos
Metropole, Frankfurt am Main 1995, S. 35-45.
WGSG
(=Women and Geography Study Group of the Institute of British Geographers):
Urban Spatial Structure, in: Geography and Gender. An Introduction to
Feminist Geography, London et al. 1984, S. 43-66.
Whyte,
William H.:
Herr und Opfer der Organisation (The Organization Man), Düsseldorf 1958 (im
amerikanischen Original 1956).
Wilson,
Elizabeth:
The Sphinx in the City: Urban Life, the Control of Disorder, and Women,
Berkeley 1991.
Wilson,
Hugh A.:
The Family in Suburbia: From Tradition to Pluralism, in: Barbara M. Kelly
(Ed.): Suburbia Re-Examined, Westport 1989, S. 85-93.
Wood,
Robert Coldwell:
Suburbia. Its People and Their Politics, Boston 1958.
[3]
In dieser Zuspitzung auf die Rolle der Stadt liegt die entscheidende
Differenz meiner Interpretation zu der von Margaret Marsh (1990),
deren Arbeit ich – für die erste Welle – ansonsten sehr viel verdanke.
[4]
Marsh 1990,
xiii. Jackson 1985, 71, s. a. Thorns 1972, 16
[7]
In den Worten von Margaret Marsh: „Women domestic reformers did not
urge their readers to leave the city, but to develop proper values
within it“ (Marsh 1990: xiii).
[13]
Croslands 1905,
zit. n. Carey 1992
[16]
Sheila Rothman, zit. n. Marsh 1990, 18
[19]
Wichtige und einflussreiche
Arbeiten sind Pearson (1951), Henderson (1953a und
1953b), Keats (1956), Seeley / Sim / Loosley (1956),
Lerner (1957), Riesman (1956a und 1957), Whyte
(1958), Wood (1958), Fromm (1960), Friedan
(1963); vgl. auch Fava (1956), Stein (1960: 199ff) und
Mumford (1979).
[22]
Riesman 1956a,
437ff.
[25]
Pearson 1951,
Keats 1956
[30]
Nelson erläutert: „In the past 2 decades central city female labor
forces have become increasingly characterized by two different
classes of primary-earner women: low-income women, many of them
minority group members, or (in certain cities) recent immigrants;
and higher-income, career-oriented women“ (1986: 155), und
unterstreicht: „What has become scarce in U.S. central cities
is the relatively well-educated female worker who is content to stay
with low-paid dead-end clerical work“ (ebd.: 157)
[32]
Carlson und
Persky 1999
[34]
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Joel Garreau auf seine
Frage, wann sie denn zum ersten Mal in Erwägung gezogen hätten,
einen riesigen Büro- und Gewerbekomplex auf eine entlegene Kuhweide
am Rand eines suburbanen Wohngebiets zu setzen, von den interviewten
Developern überraschend häufig die Antwort „1978" erhielt (1991:
112).
Für
Garreau ist das kein Zufall: 1978 war „the peak year in all American
history for women entering the workforce“ (ebd.). Spätestens zu
diesem Zeitpunkt war auch dem letzten Unternehmer klar, dass es hier
auf einen Trend aufzuspringen galt: „That same year, a multitude of
developers independently decided to start putting up big office
building out beyond the traditional male-dominated downtown (...) in
the residential suburbs that once had been condescendingly referred
to as ,the realm of women‘“ (ebd.).
Es war ein Geschäft
zum beiderseitigen Nutzen: Die Arbeitgeber fanden die geeigneten,
flexiblen, anpassungsbereiten und kostengünstigen Arbeitskräfte, die
Frauen die gesuchte ,zusätzliche‘ Beschäftigung, die sich mit ihren
häuslichen und familiären Pflichten verbinden ließ.
„A
decade later, developers viewed it as a truism that office buildings
had an indisputable advantage if they were located near
best-educated, most conscientious, most stable workers -
underemployed females living in middle-class communities on the
fringes of the old urban areas.“ (ebd.)
[35]
Jane Davison blickt zurück: „The final solution for many more women
than ever before was to stop being housewives. It was not just a yen
for independence and fulfillment, nor was it a matter of feminist
principle that catapulted them out of their houses – it was the
cash.“ (Davison 1994: 232, s. a. Wilson 1989: 89,
Hanson / Pratt 1995: 42)
[36]
Hanson / Pratt
1995, 40f
[40]
Sharpe / Wallock
1994, 18
[41]
z. B. Baldassare 1986, vii, Fishman 1987, 195
[42]
Hanson / Pratt
1995, 94
[43]
Sharpe / Wallock
1994, 3, 17ff.
[47]
vgl. Wilson 1996, Nelson 1986, 149
[48]
Fishman 1994, vgl. ders. 1987, 1990
|