10. Jg., Heft 1
September 2006
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From Outer Space: Architekturtheorie
außerhalb der Disziplin (Teil 1) |
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Konzeption und Redaktion: |
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Katharina
Fleischmann,
Eduard Führ |
Organisatorische Vorbereitung: |
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Katharina
Fleischmann |
Lektorat und Layout:
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Heidrun Bastian,
Ehrengard Heinzig
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Katharina Fleischmann
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Editorial
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Einleitende Texte |
Jörg Biesler |
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Leidenschaft und Mathematik
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Architekturtheorie vor der Architekturtheorie |
Burkhard Biella |
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Immer nach Hause -
Zum Verhältnis von Philosophie und Architektur |
Claus-Christian Wiegandt &
Rainer Kazig |
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Zur Stellung von Architektur
im geographischen Denken und Forschen |
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Ästhetik |
Heidi Helmhold |
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Beau désordre -
Raum und Begehren in der Libertinage |
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Psychologie |
Peter Georg Richter |
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Architektur und Psychologie |
Kai Schuster |
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Qualität in der Architektur
-
Annäherungen an ein vernachlässigtes Thema |
Bettina Graf |
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"Atmosphäre" in der Stadt -
Denkansätze für einen psychologisch reflektierten Städtebau |
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Soziologie |
Heike Delitz |
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Die Architektur der
Gesellschaft -
Architektur und Architekturtheorie im Blick der Soziologie |
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Gender Studies |
Barbara Zibell |
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From Outer Space?
Architektur und Gender Studies.
Neue Perspektiven auf eine alte Disziplin |
Dörte Kuhlmann |
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La Cité des Dames |
Susanne Frank |
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Suburbias Frauen -
am Rande oder im Zentrum der Gesellschaft? |
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abstracts: |
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Einleitende Texte |
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___Jörg
Biesler
Köln |
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Die Theorie der Architektur ist um
1700 eindeutig mathematisch bestimmt. Die richtige Art zu bauen findet
sich in den Zahlen. Die Proportionen sind das zentrale Thema der
Architekturbücher, und ihre Begründung führt in heilsgeschichtliche
Dimensionen. Im Rahmen der Neuordnung der Disziplinen im 18. Jahrhundert
werden erstmals Künste und Wissenschaften im modernen Sinne voneinander
geschieden. Die Architektur, die durch ihre Mathematisierung vom
Handwerk zur Wissenschaft aufgewertet wurde, wird nun den Künsten
assoziiert. Als Kunst wird neben der Produktion auch die Rezeption
theorierelevant. Eine Vorform ästhetischer Theorie findet sich im
geselligen Gespräch des Adels. Die Kunsttheorie schließlich erhebt das
Betrachten zur alleingültigen Beschäftigung mit Architektur. Ein
Gebäude, so heißt es bei Moses Mendelssohn, könne Leidenschaften
erregen. Unter dem Einfluss des Sensualismus und der Behauptung eines
legitimen Urteils über Kunstwerke durch Laien wird der
Architekturdiskurs erweitert. Bautechnische und mathematische Themen
werden ausgesondert und stattdessen ästhetische und später soziale
Fragen integriert.
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(Artikel in Deutsch) |
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___Burkhard
Biella
Duisburg |
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Eine philosophische Reflexion über das
Verhältnis von Philosophie und Architektur fragt nach den Zusammenhängen
von Theorie und Praxis, wobei die Philosophie praktisch werden muß, die
Architektur ihre theoretischen Grundlagen erweitern kann. Eine
philosophische Reflexion ist ferner eine Selbstbesinnung auf das Wesen
des Menschen, die in dem vorliegenden Zusammenhang wesentlich Bezug
nimmt auf Sprache, Raum und Tod. Den wesentlichen Zweck der Architektur,
für den Menschen zu bauen, beziehe ich auf das Wohnen als den
eigentlichen Zweck allen Bauens, wodurch für das Denken die Praxis
menschlichen Lebens in ihrer Individualität und Sozialität, Privatheit
und Öffentlichkeit ins Zentrum rückt. Die Konzeption eines existentialen
Wohnens beruht auf einer in praktischer Hinwendung zur Architektur auf
der Folie des Denkens Martin Heideggers entfalteten Philosophie des
Wohnens.
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(Artikel in Deutsch) |
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___Claus-Christian
Wiegandt
&
___Rainer Kazig
Bonn |
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Architektur ist
bereits seit dem 19. Jahrhundert auch ein Gegenstand der
deutschsprachigen Geographie. Die gebaute Umwelt wurde mit der
Entwicklung der Disziplin in unterschiedlichen Perspektiven
thematisiert, wobei sich drei Phasen unterscheiden lassen. In der
ersten, vom Landschaftsparadigma geprägten Phase der traditionellen
Geographie wurde Architektur überwiegend in einer morphologischen
Perspektive betrachtet. Dabei standen Fragen nach den Formen von
Siedlungen und Gebäuden, ihrer Verbreitung und ihrer Genese im
Vordergrund. Mit der sozialwissenschaftlichen Modernisierung der
Humangeographie in den 1970er Jahren und der Abkehr vom
Landschaftsparadigma wurde die materielle Welt und damit auch die
Architektur weitgehend aus dem Fachinteresse ausgeblendet. In der
jüngeren Zeit erfolgte eine Neuthematisierung unter verschiedenen
Ansätzen. Neben vielfältigen Zugängen zur Architektur in der Geographie
der postmodernen Stadt findet die gebaute Umwelt in der geographischen
Stadtforschung auch in ihrer atmosphärischen Bedeutung sowie als
materielles Element in einem handlungstheoretischen Zusammenhang
Beachtung.
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(Artikel in Deutsch) |
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Ästhetik |
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___Heidi
Helmhold
Köln |
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Bevor das Boudoir im 19.
Jahrhundert zum Ort weiblich konnotierter Verführungskünste wurde, ist es
der Ort der Libertinage. Im Roman libertin des 18. Jahrhunderts wird
Sexualität zum Synonym für erotische Freizügigkeit, verstanden als
Befreiungszug gegen die christliche Sexualethik und gesellschaftliche
Diziplinierung. Die ars amandi, die Liebeskunst, versteht sich in den
Anfängen der Libertinage nicht als eine Sexualität, die schnell befriedigt
sein will. Sie zielt auf Könnerschaft im Lustgewinn, deren Mittel und
Methoden sie erdachte und wohlüberlegt umsetzte. Leib und Leiberfahrung
produzieren darin raumhafte Gegenarchitekturen zum abstrakt-geometrischen
gesellschaftlichen Raum des 18. Jahrhunderts. Dieser wird durch Architektur
und Habitus rezipiert, im libertinären Leib von den Akteuren hingegen selbst
produziert. Visualität und Emotionalität sind dabei die Architekten zweier
Raumerfahrungen: Dem euklidischen Raum – statisch, verlässlich und visuell
kontrollierbar - wird ein flagranter Raum, ein affektmodulierter „espace
négligence“, eingeschrieben. Beispiele aus dem Roman libertin und Gemälde
von Jean-Honoré Fragonard zeigen Merkmale und Materialität.
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(Artikel in Deutsch) |
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Psychologie |
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___Peter
Georg Richter
Dresden |
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Aus psychologischer Sicht hat Architektur für den Menschen eine besondere
Bedeutung. Nach mehrtausendjähriger Entwicklung ist der Mensch ohne
gebaute Umwelt nicht mehr denkbar. Entsprechend dem Konzept von der
„Ringstruktur der Tätigkeit“ (Leontjew, 1977) handelt es sich um eine
intensive transaktionale Beziehung, in die der Mensch als Gestalter und
Nutzer von gebauter Umwelt involviert ist. Nach Lang u. a. (1987)
beinhaltet diese Beziehung drei Ebenen: Aktivation, Interaktion sowie
individuelle und soziale Entwicklung. Diese Ebenen können den Rahmen für
die Forschungsperspektiven und Ansätze der Architekturpsychologie
bieten. Anhand von drei Studien wird illustriert, in welcher Weise diese
Ebenen empirisch zugänglich sind und welche Aussagen sich aus derartigen
Untersuchungen ableiten lassen. Es wird auf Interventionsansätze der
Architekturpsychologie verwiesen und ein knapper Ausblick gegeben.
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(Artikel in Deutsch) |
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___Kai
Schuster
Kassel |
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Architektur ist allgegenwärtig und „unumsehbar“; sie stellt in den Worten
Evans & McCoy (1998) eine „permanente Reizsituation“ dar. Insofern liegt
es nahe, eine qualitäts- und „wertvolle“ Architektur zu fordern.
Allerdings ist es nicht einfach, einen Überblick über theoretische
Überlegungen zu architektonischen „Qualitätsmerkmalen“ zu erhalten. Der
Rückgriff auf funktionale und metrische Qualitätsbeschreibungen, wie bei
Neuferts Entwurfslehre oder, in die Vergangenheit zurückgehend, bei Le
Corbusiers Modulor, helfen dabei nur bedingt. Aus der Außenperspektive
der Psychologie wird in diesem Artikel über das vernachlässigt
scheinende Thema „Qualität in der Architektur“ reflektiert.
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(Artikel in Deutsch) |
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___Bettina
Graf
Berlin |
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Der Beitrag wirft einen psychologischen Blick auf Architektur und
Stadtlandschaft. Zunächst werden einige theoretische Überlegungen zum
Zusammenhang zwischen physischer Umwelt auf der einen Seite und Emotion
und Gesundheit auf der anderen Seite dargestellt. Daran anschließend
wird gezeigt, wie diese Überlegungen im Rahmen der Forschung des inter-
und transdisziplinären Projektes „Zeilenumbruch“ umgesetzt wurden. Die
Forschungsgruppe (Ökonomie, Psychologie, Architektur und Stadtplanung
unter Mitarbeit verschiedener Akteure aus der Praxis) beschäftigt sich
mit der nachhaltigen Sanierung von Mehrfamilienhäusern aus der
Nachkriegszeit. Besondere Aufmerksamkeit liegt bei der Bewertung von
Außenräumen und Erholungs- und Verweilqualitäten wohnungsnaher
Freiflächen. Im Rahmen der Projektarbeit wurden Bewohnerinnen- und
Bewohnerbefragungen zur Einschätzung von verschiedenen
Sanierungsvarianten durchgeführt. Ein kurzer Einblick in die Ergebnisse
weist auf die Unterschiede der Wahrnehmung und Bewertung von
Bewohnerinnen und Bewohnern einerseits und Forschenden und Planenden
andererseits hin. Schließlich wird das Beteiligungsverfahren „Grüne
Mappe“, das im Rahmen der Projektarbeit entwickelt wurde, kurz
vorgestellt. Erste Ansätze dazu, wie Ergebnisse eines solchen
Beteiligungsverfahrens in Planungsentwürfe einfließen können, werden
dargestellt.
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(Artikel in Deutsch) |
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Soziologie |
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___Heike
Delitz
Dresden |
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Aus dem Blick der
Soziologie ist die Architektur der Moderne Ausdruck ihres Gegenstandes,
der ‚modernen’ Gesellschaft, der Aufschluss über ihre Struktur geben
könnte. Mit dieser Gesellschaft, wie sie sich seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts in der neuen Wissenschaft Soziologie selbst beschreibt,
geht eine spezifische Architektur einher. Mit der funktionalen
Ausdifferenzierung dieser Gesellschaft entsteht die Disziplin
Architektur, die sich in ihrer Theorie selbst legitimiert. Die
Architekturmoderne unternimmt es zugleich, auf eigene Faust soziale
Ordnung zu stiften.
Trotz der sozialen Brisanz der Architekturmoderne und ihrer Theorie gibt
es bisher keine eigenständige Subdisziplin ‚Architektursoziologie’. Vor
diesem Hintergrund wird zunächst ein – der soziologischen Theorien- und
Disziplinenvielfalt angemessenes – Spektrum möglicher
Perspektiven auf die Architektur der Gesellschaft entfaltet. Im zweiten
Schritt wird ein eigener systematischer Vorschlag unterbreitet, der
Architektur aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie und
ihrer Kulturtheorie als „Medium des Sozialen“, als Ausdrucks- und
Konstitutionsmedium der Vergesellschaftung fasst. Aus dieser Perspektive
wird schließlich die dekonstruktivistische Architektur
architektursoziologisch analysiert.
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(Artikel in Deutsch) |
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Gender Studies |
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___Barbara
Zibell
Hannover |
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Die Gender Studies nehmen zwischen den
hier aufgeforderten Perspektiven eine Sonderstellung ein: Sie gehören
als Querschnittsthematik im Prinzip in jede wissenschaftliche Disziplin,
so auch in die Architektur. Als eine noch junge Forschungsperspektive
ist deren selbstverständliche Präsenz in den Wissenschaften jedoch,
gerade auch in der Architektur, bisher kaum gegeben.
Die Autorin fokussiert vor diesem Hintergrund den Beitrag der Gender
Studies zu einem
Perspektivenwechsel. Dabei entwickelt sie ihre Gedanken anhand von drei
Thesen zur unterschiedlichen Wahrnehmung von Bauproduzenten und
BaunutzerInnen:
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Planen und Bauen sind nicht geschlechtsneutral: Es
spielt eine Rolle, wer plant und entwirft, baut und entscheidet.
-
Der Lebensalltag prägt Bedürfnisse und Anforderungen
an den Raum: Bedarfslagen sind daher zu differenzieren, nicht zu
standardisieren.
-
Es bedarf nicht nur differenzierter Projekte, sondern
auch veränderter Strukturen und Prozesse.
Architektur ist zwar nicht
in der Lage, Herrschaftsstrukturen zu verändern; sie kann aber durch die
Aufarbeitung von Wissen dazu beitragen, Ignoranz abzubauen. Dazu
formuliert die Autorin abschließend drei grundlegende
Forschungsperspektiven. |
(Artikel in Deutsch) |
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___Dörte Kuhlmann
Wien |
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Im Bereich der Architektur sind die Genderstudien von besonderer
Bedeutung, da bauliche Strukturen leicht dazu verwendet werden können,
bestimmte soziale Machtrelationen räumlich zu festigen. Darüber hinaus
fällt die mangelnde Präsenz von Frauen in der westlichen Kunst- und
Kulturgeschichte auf; insbesondere die Architektur scheint weiterhin ein
maskulin dominiertes Terrain darzustellen. Es stellt sich die Frage,
warum es so wenig berühmte Stararchitektinnen gibt: liegt es an den
sozialen Mechanismen innerhalb des Kunstfeldes oder haben Frauen eine
"andere" Herangehensweise an die Architektur als Männer? Eine mögliche
Begründung dafür sehen einige Autorinnen in der einseitig ausgerichteten
Architektur- und Kunstgeschichte, in der Frauen bis zur Moderne eher
eine marginale Rolle einnehmen. Sie werfen sogar die These auf, dass der
Ausschluss der Frauen aus der Kunst- und Architekturgeschichte nicht
zufällig ist, sondern auf gezielter Diskreditierung beruht.
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(Artikel in Deutsch) |
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___Susanne Frank
Berlin |
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In der
geschlechterbezogenen Stadtforschung gilt "Suburbia" als
„antifeministische Umgebung“ schlechthin. Der Aufsatz bemüht sich um
eine Differenzierung dieses Bildes: Anhand des nordamerikanischen
Suburbanisierungsprozesses wird einerseits gezeigt, dass es sich bei
Suburbia zwar um ein zutiefst geschlechtlich definiertes
sozialräumliches Ordnungsmodell handelt. Andererseits aber wird
argumentiert, dass Suburbias „Geschlechtscharakter“ bzw. die
Geschlechterbilder und Geschlechterrollen, auf denen es aufruhte und die
es seinerseits prägte, niemals unumstritten, sondern vielmehr Gegenstand
von teils erbitterten Aushandlungs- und Deutungskämpfen waren und sind.
Letztere werden entlang der drei Phasen des nordamerikanischen
Suburbanisierungsprozesses analysiert. Deutlich wird, dass sich unter
veränderten gesellschaftlichen Bedingungen nicht nur die suburbane Wohn-
und Siedlungsform als solche grundlegend wandelt, sondern auch und
gerade ihre Bedeutung für die Geschlechterbeziehungen.
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(Artikel in Deutsch) |
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Die Redaktion behält
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Link zu Teil 2 (Heft 2/05) |
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