Thema
5. Jg., Heft1
Juli 2000

Paul Sigel

Der deutsche Beitrag auf der Expo70 in Osaka

Multimediale Präsentationen, computergenerierte virtuelle Rauminszenierungen und spielerische interaktive Informationsvermittlung kennzeichnen den größten Teil der Ausstellungsbeiträge, die für die Expo 2000 in Hannover vorbereitet wurden. Anläßlich der ersten Weltausstellung, die in der knapp 150jährigen Geschichte dieser universellen Schows in Deutschland ausgerichtet wird, zeigen sich Gastgeber und Teilnehmerstaaten weitgehend auf dem aktuellen Stand hochtechnologisierter und gleichzeitig den Entertainmentbedürfnissen der Rezipienten entsprechender Informationsaufbereitung. So sollen auch die Präsentationen innerhalb des deutschen Pavillons mit seinen drei verschiedenen Schowbereichen multimediale Umsetzungen des zentralen Expo-Themas "Mensch-Natur-Technik" zeigen. Die Architektur des Pavillons wurde - nach längeren Planungskontroversen und dem Ausstieg des ursprünglich aus dem Architekturwettbewerb als Sieger hervorgegangenen Florian Nagler - letztlich vom Developper, der Josef Wund GmbH aus Friedrichshafen, entworfen und fungiert dabei primär als hochgradig funktioneller und flexibler Rahmen, der zudem auch in Zusammenhang mit einer geplanten Post-Expo-Nutzung dem Anspruch auf "Nachhaltigkeit" gerecht werden soll. Das Planungsprozedere und auch der Entwurf Wunds war mitunter massiver Kritik ausgesetzt, wobei von zahlreichen Kommentatoren insbesondere ein Mangel an architektonischer Prägnanz des Wund´schen Projektes beklagt wurde. Doch im Grunde reflektiert die, zwar konstruktiv elegante, doch tatsächlich relativ neutrale Form des Pavillons eine konsequente Verlagerung des repräsentativen Anspruchs der nationalen Selbstdarstellung von der ambitionierten architektonischen Form hin zur intensiven, unterhaltenden und technologisch hochambitionierten Medieninszenierung.
Diese Tendenz hat, ungeachtet der innerhalb der modernen Architekturgeschichte so eminenten bundesdeutschen Ausstellungsbauten wie der Pavillongruppe in Brüssel 1958 von Egon Eiermann und Sep Ruf oder den Zeltlandschaften Frei Ottos und Rolf Gutbrods für Montreal 1967, eine Traditionslinie, die sich exemplarisch in dem deutschen Pavillonkonzept für die Expo 70 in Osaka manifestierte. Fritz Bornemanns konsequent in den Untergrund verlagerte Ausstellungsflächen und das Kugelauditorium zeigten einerseits den Verzicht auf die große architektonische Geste auf und verwiesen andererseits mit dem hochtechnologisierten Auditorium als dem einzigen oberirdisch sichtbaren Teil der Gesamtanlage auf die Bedeutung, die den musikalischen Konzepten des unter dem Titel "Gärten der Musik" angekündigten Beitrages beigemessen wurde. Unter Einbeziehung der renommiertesten Protagonisten der "Neuen Musik" und vor allem durch die weitgehende Mitarbeit Karlheinz Stockhausens sowie des "Studios für elektronische Musik" der TU Berlin wurde die Beteiligung in Osaka zu einer konzentrierten Präsentation aktueller Tendenzen elektronischer Musik und ihrer Inszenierung im Raum.

Die Expo 70 in Osaka reflektierte eine bereits seit den 1930er Jahren zu konstatierende und vor allem in Montreal 1967 bereits deutlich ausgeprägte Tendenzverschiebung in der Funktion von Weltausstellungen. Eindeutiger als bei jeder vorangegangenen Ausstellung demonstrierten die Teilnehmer in Osaka eine Abkehr von exponat-gebundenen Präsentationen der Leistungskraft der jeweiligen Volkswirtschaften bzw. der beteiligten Unternehmen zugunsten des Versuches, werbewirksame "Images" und "corporate identities" zu prägen, die sich jenseits von Produktakkumulationen durch künstlerische oder populär-unterhaltsame Inszenierungen profilieren sollten (1). Mehr als bei jeder Ausstellung zuvor waren es entweder medial vermittelte Informationen über den jeweiligen Aussteller, oder aber vollständig abstrahierte Darstellungsformen, die einen Bezug zum Aussteller unter vollständigem Verzicht auf Objektpräsentationen lediglich über Assoziationsketten möglich machte. Filmprojektionen, Klanginstallationen und vor allem ein spielerischer Zugriff zu einzelnen computergestützten Informationsträgern kennzeichneten zum großen Teil die gewandelte Präsentationsform. Die dadurch manifestierte Bedeutung elektronischer Medien als dominierendem Faktor moderner Informationsvermittlung indes stellte den Typus Weltausstellung, aber auch die Funktion von Architektur auf Weltausstellungen fundamental in Frage. Wo Informationstransfer vorwiegend über elektronische Medien geschieht, wird die nachbarschaftliche Präsenz der unterschiedlichen Aussteller überflüssig. Wenn die architektonische Form überwiegend als Rahmen oder Träger für Filmprojektionen und Datenbanken dient, wird der Pavillon entweder zur untergeordneten Hülle oder aber zur eigentlichen "Botschaft" des jeweiligen Beitrags.

Eine kaum zu überblickende Ansammlung von "Plug-In"-Konstruktionen, Pneus, geodätischen Kuppeln und metabolistischen Megastrukturen, dabei vor allem Kenzo Tanges Riesenmaschine des zentralen Themenpavillons und die darin integrierten Raumkapseln Archigrams, bestimmte den architektonischen Gesamteindruck in Osaka. Es schien, zumindest im oberflächlichen Blick, als ob die Weltausstellung 1970 tatsächlich ein Forum zur Realisierung vielfältiger architektonischer Visionen bilden würde, die während der 1960er Jahre überwiegend als ungebaute Utopien die architektonische Diskussion angereichert hatten. Allerdings stand die technoide Erscheinungsform zahlreicher Pavillons bisweilen im Widerspruch zu ihrer häufig lediglich eingeschränkten Bespielbarkeit. Die Megastruktur als Ausdruck neuer Potentiale des "second machine age" erwies sich in Osaka, zumindest in einigen extremen Beispielen, als zur Pop Art mutiertes Klischeebild ihres eigenen Mythos, dessen kurzfristige Verwertbarkeit für Werbestrategien als entscheidendes Kriterium für ihre formale Konzeption erschien.

Neben der architektonischen Pop Art fielen in Osaka andererseits vor allem diejenigen Konzepte auf, die einen konsequenten Verzicht auf eine anspruchsvolle architektonische Außengestaltung zugunsten der Inszenierung virtueller Räume unternahmen. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für diese Tendenz wurde innerhalb des Pepsi-Pavillons nach Plänen der 1966 unter anderem von Robert Rauschenberg und Billy Klüver gegründeten interdisziplinären Organisation E.A.T. (Experiments in Art and Technology) realisiert (2). Im Inneren eines unscheinbaren Kuppelbaus wurden audio-visuelle Programme nach Entwürfen von Robert Breer, Forrest Myers, David Tudor und Robert Whitman geboten, die, verstärkt durch die Spiegelprojektion des Kuppelraums auf dem Fußboden, die konventionelle Raumerfahrung in dynamisch sich verändernde Klang-, Licht- und Spiegelräume transformierten. Eine von Fujiko Nakaya entwickelte, durch Düsen erzeugte "Wolke", schien das Äußere des Pavillons vollends in eine ephemere Erscheinung aufzulösen.

Martin Pawley analysierte in seinem 1970 in der "Architectural Design" erschienenen Artikel "Architecture versus the Movies" die Krise der Ausstellungsarchitektur in Osaka als symptomatisch für den Wandel von Industriegesellschaften zu Informations- und Mediengesellschaften (3). In Folge des radikalen Wandels von Präsentationskonzepten ließ sich, bezogen auf die architektonischen Manifestationen, ein zentrales Dogma der Moderne, das Postulat der Entsprechung von Form und Funktion, nicht mehr realisieren. Wo das Innere des Ausstellungspavillons vorwiegend für Multi-Media-Schows genutzt wird, wird die ambitionierte architektonische Form redundant, ihre Aussagekraft wird auf die Ebene des mitunter ironischen Zitierens reduziert. Das Dilemma manifestiere sich, so Pawley, als Problem eines neu etablierten Gegensatzes von "Form versus Content" (4). "May be", so paraphrasiert Pawley das Krisenbewußtsein zahlreicher Architekten Ende der 1960er Jahre, "the answer is not a building at all."(5)

Auch der Architekt des deutschen Pavillons, Fritz Bornemann, betonte in zeitgenössischen Statements wiederholt seine Abneigung gegenüber prätentiöser, spektakulärer Architektur und polarisierte die Diskussion durch eine provozierende und rigorose Ablehnung des Baugeschehens auf der Expo. "I didn't want to use a building at all", wird er bei Pawley zitiert, "Radar frozen air would have been better, but we can't do that yet, so I tried the next best thing."(6) Bornemanns Kommentar reflektiert nicht nur eine gewisse ideelle Nähe zu der Anti-Architektur des Pepsi-Spektakels, sondern liefert auch einen Verständniszugang für wesentliche Aspekte der deutschen Präsentation in Osaka. Der Pavillon der Bundesrepublik auf der Expo 70 verzichtete auf die prägnanten Gesten, die die deutschen Repräsentationsbauten auf den Vorgängerausstellungen ausgezeichnet hatten. Während Egon Eiermann und Sep Ruf eine elegante und leichte Pavillongruppe als kompromisslos modernen Ausweis der jungen Bundesrepublik realisiert hatten, und während Frei Ottos und Rolf Gutbrods Zeltlandschaften avancierte Konstruktionstechnologie und ein neues "Swinging Germany"-Konzept präsentierten, ließ Bornemann die vier kreisrunden Ausstellungshallen und damit einen großen Teil des Pavillons nahezu unsichtbar unterirdisch anlegen. Lediglich das leuchtend blau verkleidete Kugelauditorium sowie eine spiralförmig angelegte Rampe als Zugang zu den Ausstellungsbereichen dominierten das ansonsten als weite Gartenanlage ausgewiesene Areal. Zahlreiche entlang der Rampe angebrachte Spiegelinszenierungen nach einem Entwurf von Heinz Mack sowie verschiedene Lautsprecher bestimmten das Eingangsszenario. Mit der Verbindung von gärtnerischen Anlagen und musikalischen Darbietungen sollte den Besuchern bereits beim Betreten des Grundstücks das zentrale Motto der deutschen Beteiligung, "Gärten der Musik" sinnlich vermittelt werden.
Innerhalb der verschiedenen Ausstellungshallen wurde das von Bornemann initiierte und von ihm in Zusammenarbeit mit Herbert von Buttlar und vor allem mit Wilfried Minks konzipierte sogenannte "Technische Theater" gezeigt. Spielerische Installationen unter Einsatz kinetischer Plastiken und zahlreichen großflächigen Filmprojektionen visualisierten die verschiedenen Themenbereiche der Ausstellung. Der gesamte Ausstellungsrundgang wurde durch musikalische Programme, die die zeitgenössischen deutschen Protagonisten der "Neuen Musik" vorstellten, mitgeprägt. Bei den präsentierten Kompositionen von Boris Blacher, Eberhard Schöner, Heinz Martin Lonquich, Hans Ullrich Humpert und Herbert Eimert handelte es sich größtenteil um Werke, die eigens für die Weltausstellung komponiert worden waren.
Waren die einzelnen Ausstellungshallen damit bereits wesentlich durch das musikalische Programm bestimmt, so fand der kulturell-musikalische Aspekt des deutschen Beitrags seinen Höhepunkt in Architektur und Programm des Auditoriums. Zeitgenössische Musik, innovative Musiktechnologie sowie ein gleichermaßen ungewöhnliches wie eindrucksvolles Raumerlebnis sollten den Besuchern des Pavillons eine Möglichkeit zur Entspannung und meditativen Konzentration abseits des Expo-Rummels geben. Bornemann hatte das Auditorium in Kooperation mit Karlheinz Stockhausen und dem Akustik-Techniker Fritz Winckel vom "Studio für Elektronische Musik" der Berliner Technischen Universität (7) entworfen und zusammen mit dem Ingenieur Max Mengeringhausen gebaut (8). Die 22,5 Meter hohe Kuppelkonstruktion des Kugelsegments war als Raumfachwerk aus Stahlröhren mit einem Außendurchmesser von 30 Metern realisiert worden. Eine teilweise perforierte und damit akustisch transparente Plattform wurde im unteren Drittel des Kugelauditoriums eingebaut und schuf Raum für Publikum, Solisten und Dirigentenpult. Direkt oberhalb einer doppelläufigen Treppe, die das Auditorium unterirdisch erschloß, wurde das Regiepult mit der Regelungstechnik für die Steuerung der Lautsprecher und der Raumbeleuchtung installiert. Insgesamt 650 Einzellautsprecher sowie zahlreiche Scheinwerfer waren in das interne Stahlrohrgerüst gleichmäßig verteilt auf 50 dreieckigen "Lautsprecher-Schallwänden" eingehängt. Ein zentraler Tieftonlautsprecher unterhalb der Besucherplattform garantierte die angestrebte Universalakustik. Das attraktive graphische Zusammenspiel von Netzgitter-Konstruktion der Kuppel und Lichtquellen vermittelte dem weiten Kuppelraum den Eindruck einer abstrahierten Kosmosdarstellung mit kartographischen Koordinatensystemen und leuchtenden Sternbildern. Alle Lautsprecher und Lichtquellen waren zentral über das Mischpult steuerbar. Ein eigens für das Auditorium in Oaska von Fritz Winckel entwickeltes Steuerungssystem ermöglichte es, Klang und Licht beliebig in alle Richtungen horizontal, diagonal und spiral zu lenken. Zwei Sensorenkugeln bildeten die Innenseite der Kuppel akustisch und optisch nach. Dabei entsprachen verschiedene sensorische Felder auf den Kugeln den Positionen der einzelnen Lautsprecher-Wände und Scheinwerfer. Durch Berühren der jeweiligen Felder konnten somit Lautstärke und Bewegung von Klängen beziehungsweise Lichteffekten kontrolliert und manipuliert werden (9). Klang- und Lichtwanderungen verunklärten die Eindeutigkeit des Kuppelbaus, die sinnliche Erfahrung des Innenraums mit seinen sich dynamisch entwickelnden und verändernden Klang- und Lichträumen ließ die klare Geometrie der gebauten Architektur in den Hintergrund treten.

Höhepunkt der Live-Präsentationen waren, neben Konzerten von Boris Blacher (10), die Auftritte von Karlheinz Stockhausen (11). In der Nachmittagsaufführung wurden zumeist die Komposition "Spiral" sowie mit "Pole" und "Expo" zwei eigens für die Weltausstellung geschaffene Werke aufgeführt. Im Abendprogramm wiederum wurden die bereits 1966 für den japanischen Rundfunk komponierte "Telemusik" sowie neben anderen die Stücke "Stimmung", "Hymnen", "Kurzwellen", "Kontakte", "Carré" und "Aus den sieben Tagen" aufgeführt (12).

Kugelbauten mit ihrer Emblematik der geometrischen Elementarform bilden vor allem im 20.Jahrhundert ein typisches Inventar innerhalb der Typologie der Ausstellungsarchitektur. Sei es das Dresdner Kugelhaus von 1928 von Peter Birkenholz, seien es die Kugelelemente des Brüsseler Atomiums von 1958 – die prägnante Form und ihr seit dem Pantheon-Innenraum oder der "Revolutionsarchitektur" im kollektiven Gedächtnis verankerten architecture parlante der geometrischen Universalform entsprachen den für Ausstellungsarchitektur so wesentlichen Kriterien des Kuriosen und Überwältigenden. Mit Richard Buckminster Fullers geodätischem Kugelbau für den US-Pavillon auf der Montrealer Expo 67 war der monumentalisierte Typus der idealen geometrischen Form perfektioniert worden; alle späteren Nachfolgebauten, wie sie beispielsweise auch in Osaka das Bild mitbestimmten, konnten demgegenüber nur noch als modische, zum Inflationären tendierende Adaptionen wahrgenommen werden.

Auch die Verbindung von Architektur und musikalischen Konzepten auf Weltausstellungen war nicht neu. Bereits anläßlich der Pariser Ausstellung von 1900 war mit dem "Großen Himmelsglobus" und den darin präsentierten Orgelkonzerten von Camille Saint-Saëns der Prototyp für die Konzeption in Osaka inszeniert worden. Stockhausen selbst verwies wiederholt auf das Vorbild des Philips-Pavillons in Brüssel 1958 (13). Zusammen mit Yannis Xenakis und Edgar Varèse hatte Le Corbusier ein multimediales Projekt entwickelt, das erstmals ein Zusammenspiel experimenteller elektronischer Musik und architektonischer Hülle inszenierte. Innerhalb einer expressiven zeltartigen Konstruktion wurden elektro-akustische Performances, begleitet von verschiedenen Lichtinszenierungen, als "Poème Électronique" dargeboten. Stockhausens eigene Arbeit an "Raum-Musik" und "Raumklang-Installationen" begann Mitte der 50er Jahre. Einer der wesentlichen Aspekte dieser konzeptionellen Überlegungen war die Entwicklung neuartiger Auditorien, die – 1958 erstmals von Stockhausen als Kugel projektiert - dem Zuhörer durch umfassende Klangwanderungen unkonventionelle akustische und räumliche Erfahrungen vermitteln sollten (14). In Umkehrung des Scharoun´schen Konzeptes für die Berliner Philharmonie sollten die Zuhörer nicht um das Orchesterpodium gruppiert werden, sondern allseitig von sich beständig verändernden Klang- und Lichtinstallationen umgeben werden. Die Einladung zur Teilnahme am musikalischen Schwerpunkt des deutschen Beitrags in Osaka eröffnete Stockhausen die ungewöhnliche Gelegenheit, seine "Raum-Musik"-Konzepte im repräsentativen Kontext und in einem adäquaten Auditorium zu realisieren.

Schon in Zusammenhang mit einem Ideenwettbewerb für den deutschen Beitrag war nach einem Vorschlag von Georg Lippsmeier das Konzept einer unterirdischen Ausstellungsanlage prämiert worden (15). Aus dem nachfolgenden Architekturwettbewerb ging schließlich Bornemann, der das Prinzip des unterirdischen Pavillons konsequent aufgegriffen hatte, als Sieger hervor. Lediglich das Auditorium sollte das Gelände sichtbar bestimmen. Bereits im planerischen Vorfeld war eine Programmsynthese von Information, Industrie und Musik festgelegt worden. Ein sogenannter Kleiner Ressortausschuß unter Leitung des damaligen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, Klaus von Dohnanyi, konkretisierte die Konzeption und setzte, unterstützt von dem Leiter des Kulturprogramms, Herbert von Buttlar, als Kernidee eine Synthese von Technologie und der Präsentation der musikalischen Avantgarde durch. Nachdem Stockhausen erstmals im Frühjahr 1968 zur Mitarbeit am Programm des Auditoriums eingeladen worden war, begann im Sommer 1968 ein enger Austausch und später eine intensive Zusammenarbeit mit Bornemann. Bornemann war mit Stockhausen im Spätsommer 1968 in Zusammenhang mit den "Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt" zusammengetroffen (16). Zu diesem Zeitpunkt ging Bornemann bei der Planung für das Auditorium noch von einem amphitheatralischen Raumkonzept mit einem zentralen Orchesterpodium und umliegenden Zuhörerplätzen aus. Offensichtlich jedoch war es Stockhausen schnell gelungen, den Architekten von einer grundsätzlichen Umplanung nach seinen eigenen konzeptionellen Vorstellungen zu überzeugen. Bornemann ging tatsächlich umgehend auf die Vorschläge Stockhausens ein und begann, sein Auditoriumskonzept grundlegend nach den Ideen des Musikers umzuplanen. Parallel dazu begann Stockhausen ein eigens für den Pavillon in Osaka und dessen spezifische Möglichkeiten konzipiertes musikalisches Programm zu erarbeiten. Unmittelbar nach den ersten intensiven Gesprächen mit Bornemann entwarf Stockhausen in Darmstadt das Projekt "HINAB-HINAUF", das in Zusammenarbeit mit dem ZERO-Künstler Otto Piene und mit Bornemann als, so der Komponist, "Licht-Raum-Musik" für Osaka vorgesehen war (17). Das auf den 25.08.1968 datierte Werk sollte ein "Modell für musikalische, visuelle und raumplastische Integration" darstellen und war als Auswertung und Weiterentwicklung von konzeptionellen Prototypen wie der Raum-Klang-Installation im Philips-Pavillon auf der Brüsseler Ausstellung von 1958 angelegt. Eine synchronisierte Steuerung von elektronischer Klangerzeugung, "Weltmusik" auf konventionellen Instrumenten und vielfältigen Lichteffekten sollte die technischen Möglichkeiten des Kugelauditoriums intensiv nutzen. Darüberhinaus sollten Lichtinstallationen, kinetische Objekte, Film- und Diaprojektionen sowie eine vertikal bewegbare Publikumsplattform die Grenzen konventioneller Raumerfahrungen aufbrechen und somit intensive meditiative und bewußtseinserweiternde Erfahrungen ermöglichen. "HINAB-HINAUF besagt", so Stockhausen, " daß ein dynamischer Prozess kontinuierlich durch Erscheinungen und Erlebnisse in acht verschiedenen Bewußtseinsebenen mehrfach hindurchführt." (18)

Während Stockhausens Beitrag zur Weltausstellung innerhalb der deutschen Planungsgruppe zwar weitgehend als ein vielversprechender Höhepunkt angesehen wurde, resultierte aus seiner intensiven Beeinflussung der Konzeption für Konstruktion und Ausstattung des Auditoriums bereits zu Beginn der konkreten Planungsarbeit ein schwerwiegendes Konfliktpotential. Vor allem die durch den Komponisten geforderte lichttechnische Ausstattung des Auditoriums drohte die finanziellen Vorgaben für den Pavillonbau deutlich zu überschreiten (19). Nachdem relativ rasch die Idee einer Hebebühne für das Publikum verworfen worden war (20), wurden im Oktober 1968 weitere Möglichkeiten der Kostenreduzierung und sogar der Verzicht auf das Stockhausen-Programm diskutiert (21). Dabei wurde vor allem von Seiten des Generalkommissars Alfred Schulz neben der Kritik an den zu erwartenden Kosten auch Bedenken gegenüber der Eignung des unkonventionellen Projekts für die Selbstdarstellung eines Staates auf einer Weltausstellung artikuliert. Stockhausen wiederum weigerte sich auf einer Besprechung über das Auditorium am 15.10.1968 eine grundsätzliche Modifikation seines Programms zu akzeptieren. Der Beitrag von Varèse-Xenakis-Le Corbusier habe, so Stockhausen, Maßstäbe gesetzt hinter denen er nicht zurückbleiben könne (22). Stockhausen zog schließlich aus der verfahrenen Diskussion die Konsequenzen und lehnte am 13.04.1969 zunächst jede weitere Mitarbeit an Planung und Durchführung des deutschen Beitrages in Osaka ab (23). In dieser für den Fortgang der Planungen des deutschen Beitrags krisenartig zugespitzten Situation bildete sich ressortübergreifend die Überzeugung, unbedingt einen Kompromiss für weitere Verhandlungen mit Stockhausen finden zu müssen. Erst Anfang August 1969 erklärte sich Stockhausen nach wiederholten Einladungen und der Vorlage von Kompromissvorschlägen durch die deutsche Planungsgruppe dazu bereit, die Verhandlungen über seinen Beitrag in Osaka wieder aufzunehmen. Der letztlich gefundene Kompromiss für die Gestaltung der Abteilung "Neue deutsche Musik" präsentierte schließlich eine Verbindung von Tonbandaufnahmen von Boris Blacher, Erhard Grosskopf, Bernd-Alois Zimmermann und Gerd Zacher einerseits und Live-Konzerten mit neuen Kompositionen von Stockhausen unter Verzicht auf das Projekt "HINAB-HINAUF". Die Mitarbeit Otto Pienes und damit die vielversprechende Umsetzung komplexer Inszenierungsideen unterblieb.

Dennoch stellte der deutsche Beitrag in Osaka mit seinen elektronisch gesteuerten Licht- und Klanginstallationen eines der herausragenden Beispiele früher multimedialer Konzepte auf Ausstellungen dar. Darüber hinaus formulierte der Verzicht auf opulente Exponatpräsentation zugunsten des Einsatzes eines sowohl technologisch als auch kulturell ambitionierten Programms eine wegweisende Alternative zu tradierten Ausstellungskonzepten. Gleichzeitig wurde angesichts der experimentellen Licht- und Klangräume innerhalb des Pavillons deutlich, daß Ausstellungsarchitektur und Ausstellungskonzepte ihre Relevanz bezüglich eines spezifischen, das heißt eines unternehmens- oder staatenbezogenen Informationstransfers weitgehend verloren hatten. Wo sich die angewandten Technologien weltweit mehr oder weniger entsprachen,

rückte die Medienwirksamkeit sowie der Unterhaltungswert der jeweiligen Konzepte und Images in den Vordergrund. Der deutsche Pavillon zog einerseits durch den Verzicht auf spektakuläre architektonische Konzepte die Konsequenz aus dem skizzierten Dilemma der Ausstellungsarchitektur, verweigerte sich aber andererseits durch sein elitäres kulturelles Programm der Forderung nach vordergründiger Telegenität und massenpopulärer Unterhaltung. Vielmehr wurde der Versuch eines dritten Weges unternommen, der einen hohen kulturellen Anspruch mit dem Experiment völlig unkonventioneller Inszenierungen verband. Selbst nach dem Scheitern des ambitionierten HINAB-HINAUF-Projektes frappierte der Mut der Präsentation.

Mies van der Rohe hatte bereits 1928 als Konsequenz aus dem Anachronismus opulenter Exponatpräsentationen neue Ausstellungskonzepte gefordert, "von der Quantität zur Qualität, vom Extensiven zum Intensiven". (24) Sein wegweisendes Konzept des exponatlosen Barcelona-Pavillons von 1929 als selbstreferentiellem Kunstwerk der Moderne realisierte einen völlig neuartigen Modus nationaler Selbstdarstellung im Ausstellungskontext. Die internationale Architektur des Pavillons mit seinen fließenden Raumsequenzen, den chromverkleideten Stützen und den eingestellten Marmorwänden war im Grunde nur über Zuschreibung und Assoziationsketten als deutscher Repräsentationsbau erkennbar. Vielmehr wurde hier über reine Architektur ein modernes und international orientiertes Deutschlandbild vermittelt. Innerhalb des deutschen Beitrags für Osaka hingegen mit seiner Synthese von hochentwickelter hardware, musikalischer Avantgarde und geradezu esoterischer virtueller Rauminszenierungen war Architektur als emblematisches Bild sekundär geworden. Was in Zusammenhang mit der exquisiten Tradition von Ausstellungsarchitektur bedauerlich erschien, erweist sich im Blick auf die aktuelle Tendenzen der Ausstellungskultur als ambitioniertes Paradigma.

Vorbemerkung:
Dieser Text wurde bereits in Arch+, Frühjahr 2000 publiziert.

 

Abbildungen:

DeutscherPavillon_k.gif (42863 Byte) grundriss_k.gif (25921 Byte)
A: Deutscher Pavillon 1970.
Ansicht
B. Deutscher Pavillon 1970.
Grundriß
Kugel_Auditorium_K.gif (25668 Byte) schnitt_k.gif (17098 Byte)
C. Deutscher Pavillon 1970.
Innenansicht Auditorium
D. Deutscher Pavillon 1970.
Schnitt Auditorium
Pepsi_Cola_k.gif (24674 Byte)
E. Expo 70. Pepsi–Cola-Pavillon.
Ansicht

 

Anmerkungen:

1. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkungen R.W. Leonhardts:
Leonhardt, Rudolf Walter: "R.W.Leonhardts fernöstliches Tagebuch (III): Aus Anlaß der Expo: Leben wie die Japaner"; in: Die ZEIT, 10.04.1970.

2. Zum Pepsi-Pavillon vgl. die zwei Jahre nach der Expo 70 erschienene Publikation: Klüver, Billy/Rose, Barbara/Martin, Julie (Hg.): "Pavilion"; New York 1972.

3. Pawley, Architecture versus the Movies, Architectural Design, Juni 1970, S.288-292.

4. Vgl. den vollständigen Titel von Pawleys mehrmals zitiertem Artikel in der Architectural Design: "Architecture versus the Movies or Form versus Content".

5. Pawley, Architecture versus the Movies, S.290.

6. Bornemann wird zitiert bei Pawley, Architecture versus the Movies, S.289.

7. Zum Elektronischen Studio der TU Berlin und zum Beitrag des Studios in Osaka vgl.: Gertich, Frank/Gerlach, Julia/Föllmer, Golo: "Musik..., verwandelt. Das Elektronische Studio der TU Berlin 1953-1995"; Berlin/Fulda 1996.

8. Zur Konstruktion der Kuppel des Auditoriums vgl.:
Mengeringhausen, Max: "Auditorium des deutschen Pavillons auf der Expo 1970"; in: Bauwelt 40, Oktober 1970; S.1492-1493.

9. Vgl. Winckel/Leipp: Auditorium Stockhausen; in: Architecture d'aujourd'hui, Oktober/November 1970; S.57;
vgl. weiterhin: Mengeringhausen/Stockhausen/Bornemann: Auditorium des deutschen Pavillons auf der Expo 1970; in: Bauwelt 40, 1970; S.1495.

10. Blacher führte im Osaka-Auditorium die eigens für Osaka komponierte "Große Kugelkomposition" auf. Vgl. Gertich/Gerlach/Föllmer, Musik..., verwandelt, S.202.

11. Stockhausen selbst gab, mit kurzen Unterbrechungen, vom Tag der Eröffnung der Expo an bis zum 20. Juni tägliche Konzerte mit eigenen Werken, unterstützt von verschiedenen Solisten. Ab Ende Juni übernahmen Stockhausens Mitarbeiter David Johnson, Rolf Gehlhaar und Mesias Maiguashca die Leitung der Stockhausen-Konzerte.

12. Zum Liveprogramm vgl. die endgültige Programmaufstellung bei Stockhausen, Karlheinz: "Texte zur Musik", Bd.3; Köln 1971; S.176-181.

13. Vgl. unter anderem Stockhausen, Texte zur Musik, Bd.3, S.155 ff.

14. Vgl. hierzu unter anderem Stockhausen, Texte zur Musik, Bd.1, Köln 1963, S.152 ff.

15. Vgl. das Protokoll der Jurysitzung zum deutschen Pavillon vom 16.-17.01.1968. Bundesarchiv Koblenz, Akten des Bundeswirtschaftsministeriums, Akte B 102/115026.

16. Vgl.: Bornemann, Fritz: "Auditorium des deutschen Pavillons auf der EXPO 70"; in: Bauwelt 40/1970, S.1494;
vgl. weiterhin: Stockhausen, Karlheinz: "Osaka-Projekt. Kugelauditorium EXPO 70"; in: Stockhausen, Karlheinz: Texte zur Musik. Band 3. 1963-1970; Köln 1971; 153-187;
vgl. weiterhin: Brief Stockhausen an den Autor vom 21.09.1993.

17. Stockhausen: "HINAB-HINAUF"; in: Stockhausen, Texte zur Musik, Bd.3; S.155-169.

18. Ebenso, S.155.

19. Vgl. Protokoll einer Ressortbesprechung bezüglich der deutschen Beteiligung in Osaka im Wirtschaftsministerium am 11.10.1968 unter dem Vorsitz von Klaus von Dohnanyi. Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115025.

20. Vgl. Protokoll einer Ressortbesprechung bezüglich der deutschen Beteiligung in Osaka im Wirtschaftsministerium am 10.10.1068 unter Vorsitz von Klaus von Dohnanyi. Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115033.

21. Vgl. Protokoll einer Sitzung am 10.10.1968 unter Vorsitz des stellvertretenden Generalkommissars Kurt Daniel. Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115033.

22. Protokoll einer Besprechung am 15.10.1968 unter Vorsitz von Klaus von Dohnanyi im Wirtschaftsministerium. Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115035.

23. Brief Hans Schmidt-Dahlenburg vom Wirtschaftsministerium an Oberregierungsrat Schomerus vom 14.04.1969. Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115034.
Vgl. weiterhin einen Brief Schmidt-Dahlenburgs an Schomerus vom 25.04.1969 in dem Schmidt-Dahlenburg weitere Einzelheiten der Absage Stockhausens erläutert:

"Er (Stockhausen) erklärte, er habe Osaka "vergessen", nachdem er im vergangenen Jahr mehr als zwei Monate unnötig auf dieses Projekt verschwendet habe." Bundesarchiv Koblenz, Akte B 102/115035.

24. Mies van der Rohe, Ludwig: "Zum Thema: Ausstellungen"; in: Die Form, 3, 1928, H.4; S,121.

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