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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen
und Kollegen,
es ist mir eine Freude, diese Tagung, die von der Brandenburgischen
Technischen Universität Cottbus und der Humboldt-Universität zu Berlin
gemeinsam vorbereitet und veranstaltet wird, eröffnen zu dürfen. Mein
besonderer Dank für die sorgfältige Vorbereitung gehen an Herrn Führ, Frau
Jöchner und Frau Wagner.
Ich könnte gleich anschließen an die Ausführungen des Präsidenten über
Symmetrien in den modernsten physikalischen Theorien, womit er auf das
Ästhetische nicht nur der Theoriebildung, sondern womöglich der Natur selbst
verwiesen hat – und auf Beziehungen, die darin auch zur Architektur
bestehen. Tatsächlich sind Symmetrien solche Verhältnisse des Schönen, mit
denen im Abendland die Wissenschaft überhaupt begann, und zwar bei den
Pythagoräern. Wir wissen davon im Wesentlichen nur von Platon. Symmetrie
meint hier Kommensurabilität, die das Ordnungsprinzip des Universums
darstellt. Hier berührt sich die erste Naturphilosophie, prima
philosophia, mit der neuesten Physik. Neben der Symmetrie steht die
symphonia, der harmonische Zusammenklang, der die Sphären des Alls zu
einem künstlerischen, nämlich musikalischen Geschehen werden lässt. Noch bis
ins 18. Jahrhundert konnte von Sphärenharmonie gesprochen werden. Mit
Symmetrie und Symphonie haben wir die beiden Arten der Homologia, also jenen
Logos, jene Wissenschaft, die das Zusammenstimmen und das Gleichmaß des
Universums entwickelt. Im Kleinen, im menschlichen Maß, stellt die
Architektur jene Technik dar, die durch Gleichmaß und Zusammenstimmung,
durch Homologien also, den Logos des Bauwerks herausstellt, seine
Konstruktion, die von der Antike her immer ebenso technisch wie ästhetisch
ist. Dies mag als kleine Anknüpfung an die Bemerkungen des Präsidenten
genügen, um zweierlei festzuhalten: erstens sehen wir, dass man im
Allermodernsten öfters an der Lösung der allerältesten Probleme arbeitet;
und zweitens sieht man, dass eine Tagung wie diese, die sich mit Raum und
Architektur beschäftigt, sehr schnell in einem transdisziplinären Netzwerk
von Bezügen aufgehen könnte, die sowohl in die Geschichte, in die
Philosophie, in die Ästhetik, aber eben auch in die Physik führen. Wie sehr
Architektur, Malerei, Dinggestaltung, Geometrie, Mathematik, Ornament
zusammenhängen, zeigte eindrucksvoll die Darmstädter Ausstellung „Symmetrie“
1986. Damit will ich es bewenden lassen und zu dem thematischen Fokus der
Tagung kommen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, dass in den Geisteswissenschaften
spätestens seit 1800 Modelle der Zeit und Verzeitlichung von Prozessen der
Gesellschaft und des Wissens dominierten. Erst in den letzten Jahren, man
darf sagen: endlich, erstarkt die Beschäftigung mit dem Raum. Und dies hängt
sicher auch mit der kulturwissenschaftlichen Wende der Geisteswissenschaften
zusammen. Denn die Kulturgeschichte beschäftigte sich immer ebenso mit
Zeitregimes wie mit Raumordnungen.
Die traditionelle Dominanz der Zeit über den Raum mag denen unter Ihnen, die
sich mit Architektur beschäftigen oder selbst Architekten sind, überraschend
erscheinen. Denn neben anderen raumzentrierten
Praktiken – wie der Agrikultur, dem Reisen, dem Verkehr, dem Krieg, dem
Tanz, der Skulptur oder, wie Lessing sagte, den Raumkünsten überhaupt in
Abhebung zu den Zeitkünsten – daneben also war es seit jeher die
Architektur, die vielleicht das Zentrum aller räumlichen Praxen und Künste
darstellt.
Gleichwohl gilt, dass philosophisch wie kulturhistorisch der Raum wie ein
unreiner Stiefbruder der Königin Zeit behandelt wurde, die am ehesten der
göttlichen Sphäre der Zahlen und ihren Harmonien nahe zu kommen schien. Aber
wir sahen schon am Beispiel der Pythagoräer und Platons, dass dies nicht
immer so war und jedenfalls nicht am Anfang des philosophischen und
naturwissenschaftlichen Denkens. Denn Symmetrie und Symphonie sind hier
zuerst Raumfiguren.
Freilich ist wahr, dass alles Räumliche verkörpert ist; doch nicht erst im
Christentum, sondern schon im Platonismus begann eine Abwertung von Körper
und Materie, mithin des räumlich Verfassten. Dieses ist notwendig und
unhintergehbar mit jener Sphäre kontaminiert, welche in der europäischen
Geschichte mit dem Dunklen, Unreinen, Niedrigen und deshalb Unwahren
assoziiert wurde: der Materie, der Welt also der natürlichen und
artifiziellen Körper.
Jede Verkörperung – sei es eine solche eines Dinges, eines Lebewesens, einer
Handlung – trägt zeiträumliche Indizes. Dagegen weisen die wahrhaft edlen
Objekte des Geistes und der Seele allenfalls einen zeitlichen Index auf –
wie etwa die Musik oder die Ideen –, wenn sie nicht gleich am Zeitlosen
selbst partizipieren, wie die Zahl. Nur im Maß, wie das Universum an Musik
und Zahl partizipierte, ragte es gewissermaßen über das Materielle hinaus
ins Göttliche.
Natürlich wissen wir längst, dass diese Auffassung einem
griechisch-christlichen Vorurteil entspricht, das falsch ist und wahrhaft
ver-kehrt. Denn damit wird jene Fundamentaltatsache geradezu auf den Kopf
gestellt, wonach jeder kulturelle Akt vor allem eine Form der räumlichen
Einbettung darstellt. Das Wohnen ist die erste Raumnahme, und zuletzt geht
es um die kulturelle Einbettung auf der Erde, auf der, nach dem Wort der
Alten, der Mensch anders als alle Tiere ein peregrinus, ein
Unbehauster ist. Kultur – von lat. colere herstammend – heißt darum
‚das Anbauen’, ein spatialisierender Akt, gleichgültig, ob es sich um
Pflanzen oder um Pflanzstädte, coloniae, handelt.
Es ist durchaus der Überlegung wert, ob die atemberaubende Karriere der
Digitaltechniken nicht nur, aber auch damit zusammenhängt, dass der
wachsenden Bedeutung der Raumkategorie mit dem Virtuellen eine immaterielle
Sphäre entgegengesetzt werden konnte, die erneut einen Triumph der Zeit
darzustellen scheint.
Dass indes die digitale Welt ohne Anleihen beim Raum nicht auskommt – und
Cyberspace und Interface sind schon vom Wort her Winke in diese Richtung –,
dies mag hier als Hinweis darauf genügen, dass reine Zeittechniken im
wahrsten Sinn transhuman sind, nämlich jenseits aller Vorstellbarkeit, aber
auch jenseits aller Belebbarkeit stehen. Es geht hier um die ebenso
schlichte wie prinzipielle Tatsache, dass man ebenso wenig nur in der Zeit
wie nur im Zeitlosen leben kann. Für beides müsste man körperlos sein. Und
im Raumlosen wäre Leben eine bloße Chimäre, eine Einbildung.
Denn Leben ist – vom Einzeller bis zur komplexen sozialen Handlung – zuerst
eine Verkörperung im Raum. Und Architektur ist im weitesten Sinn als
Verkörperung zu verstehen. Nicht etwa, dass Architektur anthropomorph wäre,
auch wenn es solche Ansätze gibt. Ich erinnere nur an Passagen bei Vitruv,
in denen dieses mensura-hominis-Denken zu beobachten ist.
Man muss Verkörperung allgemeiner fassen:
1.) Architektur ist eine der stabilsten Kulturtechniken, in denen sich
menschliche Intentionen verkörpern.
2.) Architektur ermöglicht und codiert die sozialen Choreographien des
Handelns.
3.) Architektur bildet jenen Umgebungsraum, durch den eine ebenso abstrakte
wie bedrohliche Umwelt zur menschlichen Mitwelt wird.
4.) Architektur ist Expression und Repräsentation zugleich der elementaren
Objektivierungs-Gesten, durch die alle, oder wenigstens die sesshaften
Kulturen erst auf den Weg kommen.
5.) Architektur ist die vielleicht stärkste Formel, in der sich der
Gestaltungswille der Gegenwart sedimentiert, und zugleich einer der
mächtigsten Faktoren, durch welche die Vergangenheit die Gegenwart festlegt.
In all diesen Merkmalen ist Architektur eine Raum-Macht, man kann auch
sagen: eine Territorialisierungsstrategie.
Der Kategorie des Raumes ihre elementare Bedeutung zurückzugeben, ist gewiss
ein indirektes Ziel dieser Tagung. Und welche Phänomene könnten mehr
geeignet sein, diese Elementarität zu verdeutlichen, als die Architektur und
die Stadt, in der sich das soziale Leben seit den ersten Hochkulturen, das
Leben der Moderne aber radikal räumlich konzentriert. Es bedarf
gewiss einer komplexen interdisziplinären Anstrengung, wie sie hier
unternommen wird, um an Architektur und Stadt die Figurationen des
Räumlichen abzulesen. Und es bedarf ebenso der Analyse jener Erscheinungen,
man möchte fast sagen: jener Existenzialien, an denen Räumlichkeit allererst
phänomenologisch wie kulturell aufgeht: also am Leib, dem Wohnen und der
Bewegung.
Bewegung – als Eigenbewegung, Bewegtwerden und als Wahrnehmung von Bewegung
– ist vielleicht diejenige Kategorie, die Raum und Zeit gleichermaßen
konstituiert. Am Unbewegten können wir weder Raum noch Zeit begreifen, ja,
nicht einmal sagen, dass es ist. Dass aber gerade dem Unbewegten Sein, ja
das Sein überhaupt zugesprochen wurde, ist eines der größten Verhängnisse
der abendländischen Metaphysik nach Parmenides.
Nur scheinbar widerspricht dem die Architektur. Sie will in das Vergehende
der Zeit und in das Ungegliederte des Raumes, der Chora, Stabilität
einziehen, an der das kulturelle Leben einen An-Halt gewinnen kann. Bauen
und Bewegung hängen aber kulturell unmittelbar zusammen. Denn Bauen ist
jener Akt, durch den abgegrenzte Bezirke – Wohnstatt und regio –
sowie die gegliederten Raumstaffeln befestigt werden, die allererst
Bewegungen erlauben, nämlich solche zur kulturellen Reproduktion und
Evolution unabdingbaren Bewegungen, die der Realisierung von Zwecken dienen
und nicht nur das Wirken natürlicher Kräfte sind. Kulturen sind nur als
stabilisierte Raumordnungen denkbar, also im weiten Sinn: als Architekturen.
Dann erst haben Kulturen eine Chance, Gedächtnis und Tradition auszubilden
und Sorge für Zukunft zu tragen, also Zeitregimes zu entwickeln, welche den
Terminus der Zeit, den Tod nämlich, hinhalten –; während der
Terminus des Raumes das Chaos, die Chora ist.
Ich darf Sie – und erlauben Sie mir, damit diese sehr allgemeinen
Überlegungen abzuschließen; das Konkrete, sozusagen Raumerfüllende werden
Sie in Ihren Vorträgen liefern – ich darf Sie also ermuntern, Ihre
Forschungskraft weiterhin auf die kulturellen und architektonischen
Verräumlichungsformen und ihren funktionalen wie historischen Wandel zu
richten. Es gibt viele Nachbarschaften zu dieser Tagung, die wir in Zukunft
weiterentwickeln können, Nachbarschaften, die sich alle aus der Einsicht in
die grundlegende Relevanz der Raumkategorie ergeben. Ich erwähne nur, dass
der Berliner SFB 447 Kulturen des Performativen einen Schwerpunkt seiner
dritten Förderungsperiode auf „Bewegung – Rhythmus – Raum“ legen wird. Ich
erwähne, dass das Symposion, das die DFG einmal im Jahr in eigener Regie
durchführt, diesmal dem Thema der Topographien gewidmet ist. Ich nenne
ferner die gerade laufenden Bemühungen, zwischen der Freien Universität, der
Humboldt-Universität und der Technischen Universität in Berlin ein Zentrum
für Metropolenforschung aufzubauen. Ich erinnere an die Weimarer Kollegen
und ihre Aktivitäten im Feld von Medien und Raum. Es gibt also viel zu tun.
Ich wünsche Ihnen deswegen viel Erfolg für die Tagung und vor allem
fruchtbare Diskussionen über die Fächergrenzen hinweg, die zu überwinden
niemals leicht, im Fall aber von Raumforschung zu überschreiten absolut
notwendig ist. |