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1. Drei Sichtweisen auf Architektur. Bevor einige
Überlegungen zu dem Thema 'Entwerfen' angestellt werden, lassen Sie mich zuvor drei
Sichtweisen auf das skizzieren, was gemeinhin unter dem Begriff Architektur verstanden
wird. Die zugegeben holzschnittartige Betrachtungsweise läßt tiefgreifende
Bewertungsunterschiede aufzeigen, die es gerechtfertig erscheinen lassen den Gebrauch
dieses Begriffs drei unterschiedlichen Welten zuordnen:
Welt eins- die architekturale Welt.
Im Mittelpunkt der architekturalen Welt steht die Frage nach den Bestimmungsfaktoren
architektonischer Qualität. Orte dieser Diskurse können sein: Architekturhochschulen,
-zeitschriften oder -ausstellungen, zu denen sich Architektursammlungen und vermehrt
Architekturmuseen gesellen. Die Gegenstände mit denen diese erste Welt anfüllt wird,
sind sowohl virtuelle Architekturen - etwa in Form von Papierarchitekturen - oder auch in
der körperlichen Welt bestehende Gebäude; hier findet all das Platz, was sich über
einen gewissen Durchschnitt von Erdachtem oder tatsächlich Gebautem erhebt.
Die Auswahl dieser Gegenstände erfolgt jedoch nicht etwa, weil sie differenzierten
Qualitätsmaßstäben genügen, oder weil sich an ihnen Maßstäbe herausbilden ließen,
sondern einfach deshalb, weil sie von aufmerksamen Beobachtern für erwähnenswert
gehalten werden.
Debatten, angesiedelt zwischen philosophischem Ernst und erheiternder Privatmythologie,
entwickeln sich spontan, eher zufällig, ohne dass verbindliche Motive, Leitlinien, etc.
erkennbar werden.
Eine Klärung dessen, was der Begriff Qualität in der Architektur bedeutet, rückt in
weite Ferne, je mehr darüber debattiert wird. Der Verbrauch an Begriffen überrascht und
schon morgen ließe sich fragen: in der wievielten Moderne leben wir heute?
Für gewöhnlich bezeichnet 'das' Entwerfen in diesem Zusammenhang den Beginn eines
Prozesses an dessen Ende - wie von selbst - das körperliche Bauwerk auftaucht. Doch ist
eigentlich das Ende diese Vorgangs, das Entstehen eines physisch erlebbaren Bauwerks, von
untergeordneter Bedeutung: an die Stelle des Gebauten tritt ohne weiteres die Fotografie,
die Zeichnung, der Plott oder der Screen. Architektur droht sich in bedeutungsvoller
Beziehungslosigkeit zu verlieren.
Dieser Begriff von 'Entwerfen' ist damit streng zu trennen von zweckhafter Planung, als
Vorstufe zur Produktion physisch erlebbarer Wirklichkeit.
Welt zwei- die Welt der Bauproduktion.
Die Welt der Bauproduktion bildet das komplementäre Gegenstück zur architekturalen
Welt. In ihr findet all das statt, was nicht oder nur selten durch den architekturalen
Diskurs erfaßt wird, wohl aber mit Gebäudeproduktion - unter die zuweilen auch
Architekturstücke geraten können - zu schaffen hat. Es sind somit die Dinge und
Sachverhalte, die bewußt oder unbewußt aus der oben skizzierten Architekturbetrachtung
verdrängt werden.
Im Gegensatz zur Freizügigkeit der ersten Welt herrscht hier eine regel- und
prozeßorientierte Zweckrationalität vor, die von technischen und wirtschaftlichen
Anforderungen dominiert wird.
Den hier vorgefundenen Anforderungen lassen sich kaum die heroischen Eigenschaften
zuschreiben, die Gropius oder LeCorbusier in der Ingenieurtechnik zu erkennen glaubten und
in der Gestalt von Silo oder Dampfboot verklärten. Welt zwei ist geprägt durch eine
überaus gewöhnliche Rationalität, die dem Weg fortschrittlicher Technik folgend, zu
beständiger Optimierung und Spezialisierung des Herstellungsprozesses tendiert. Anders
als die erste Moderne glaubte, schlägt sich dieser Prozeß weder in technischem Design
(Glas oder Stahl), noch in ungeschminkten Waschbeton-Fassaden nieder: Modernisierung als
Prozeß bleibt unsichtbar.
Hervorzuheben ist ein zweiter Charakterzug: Die zunehmende Ökonomisierung des Planungs-
und Baugeschehens, wie sie sich beispielhaft in der Erfindung neuer Akteure widerspiegelt:
Wer kannte vor 20 Jahren den Investor, Developer oder Projektmanager? Kurz und gut: ein
Stück Architektur ist immer zugleich eine Immobilie, die es unter Ausschöpfung
rationalisierungswirksamer Potentiale wirtschaftlich herzustellen gilt.
Welt drei- die Welt des Durchschnittsmenschen.
Der Architekturkritiker Manfred Sack stellt zutreffend fest: Für das Bildungsgut des
Durchschnittsbürgers spielt der Begriff Architektur eine dürftige Rolle (1). Architektur
ist eine Vergangenheitsleistung, Baukunst nicht mehr als eine Urlaubsetappe.
Dies wundert nicht. Wie sollte sich der durchschnittliche Zeitgenosse kundig machen? Zeigt
sich die mit vielen Worten aufgefüllte Urteilsarmut der architekturalen Welt nicht in der
Lage verläßliche Begriffe zu vermitteln.
Möglicherweise war den Bemühungen von Architekten ihr Anliegen - welches auch immer -
dem durchschnittlichen Zeitgenossen vorzustellen gerade deshalb geringer Erfolg
beschieden, da es an einer sinnstiftenden Verständigungsebene mangelt.
Freilich, diese dritte Welt nimmt Ursachen und Wirkweisen der Bauproduktion nur
fragmentarisch zur Kenntnis. Vermittelnd und vorbildprägend greifen hier die
Bausparkassen, der Immobilienmarkt der Lokalzeitung oder die alljährliche
Mietzinserhöhung ein. Für den Verkauf von Immobilien als Architektur braucht offenkundig
die Strategie nicht geändert zu werden.
Es darf unterstellt werden: Die Erwartungen des Durchschnittsmenschen an das was
Architektur zu leisten vermag, sind außerordentlich gering. Im gegenteiligen Fall, so
ließe sich vermuten, nähme architektonische Gestaltung Einfluß auf die
Immobilienpreisbildung. Dieser Sachverhalt, ließ sich bis heute nicht zuverlässig
nachweisen.
Für die Teilnehmer von Welt drei fällt die gebaute Umwelt entweder als Ärgernis oder
als freudiges Ereignis vom Himmel; ihr Entstehen wird von Lichtgestalten oder finsteren
Mächten regiert. Widerstand zwecklos?
2. Beruf: Entwerfer?
Die scheinbar unvermittelbaren Gegensätze zwischen Bauproduktion und Architektur,
Geschäft und Kultur, unkundigem Publikum und Künstler, sind Mythen, die das Berufsbild
des 'modernen' europäischen Architekten hervorgebracht haben und denen es bis in die
Gegenwart verhaftet bleibt.
a) Der Freie Architekt, zu Beginn des Jahrhunderts als Privatarchitekt bezeichnet, ist ein
relativ junger Beruf: 1903 wurde mit dem Bund deutscher Architekten (BDA) der erste
Verband unabhängiger Architekten gegründet, um einen in Gefahr geglaubten Begriff von
Baukunst zu retten: Beherrscht werde das Baugeschehen von einem 'kalten Geschäftssinn'
des 'rücksichtslosen Unternehmertums', einem 'bedrohlicherweise anwachsenden
Baubeamtentum', sowie von Heerscharen künstlerischer Dilettanten aus dem 'Reich niederer
Fachschulen'. Dass es dem BDA dabei von Anfang an auch um die Auftragslage der
Standesgenossen ging, wird im Gründungsmanifest nicht verschwiegen (2).
Die BDA - Architekten postulieren das Ideal des akademisch gebildeten, selbständig
tätigen und künstlerisch schaffenden Architekten. Über das akademische Studium hinaus
hat er zugleich 'nennenswerte künstlerische Leistungen' nachzuweisen. Seine Integrität
beruht im Wesentlichen auf seiner unabhängigen wirtschaftlichen Stellung - eine
gewerbsmäßige Tätigkeit schließt die Mitgliedschaft im BDA aus (3).
In Anlehnung an die Standesvertretungen von Medizinern und Juristen wird durch den BDA um
1916 die Einrichtung von Architektenkammern gefordert, womit zugleich ein wirksamer Schutz
der Berufsbezeichnung Architekt oder 'Bauanwalt' verbunden werden soll (4). Die Erfüllung
der Forderung nach einem Zusammenschluß aller Architekten in berufsständischen Kammern
wird erst 50 Jahre später erreicht; in Nordrhein-Westfalen wurde eine Architektenkammer
1970 eingerichtet (5).
Dabei konnte die 1933/34 zwangsweise vorgenommene Eingliederung von Architekten in die
Reichskulturkammer dem Ideal des BDA-Architekten insofern nicht entsprechen, da der freie
Beruf gegen eine staatlich-ideologische Bindung eingetauscht wurde (6). Die Zusicherung
die Planvorlageberechtigung ausschließlich auf Reichskulturkammer-Architekten zu
beschränken, erwies sich als trügerisch; bereits kurze Zeit später wurde dieses Recht
auf Drängen der Bauwirtschaft aufgehoben (7).
Der Versuch, die Berufsbezeichnung ausschließlich auf freiberuflich Tätige zu
beschränken, wird mit den gegenwärtigen Architektengesetzen ebensowenig erreicht, wie
die Vereinheitlichung der beruflicher Qualifikation: Nach einer zwei- bis dreijährigen
Praxiszeit, steht der Zugang zu den Kammern gleichermaßen Absolventen von
Kunsthochschulen, Universitäten oder Fachhochschulen offen. Über die sogenannten
Genieparagraphen der Architektengesetze wird Autodidakten der Weg in die Kammern geöffnet
(8).
Nicht zu erreichen war ebenfalls die Sicherung des Entwurfsmonopols über die Bauordnungen
der Länder. Gleichberechtigt verfügen in allen Bundesländern auch Bauingenieure über
die Befugnis als 'Entwurfsverfasser' aufzutreten (9).
Von einem Beruf des 'Entwerfers' kann damit sowenig ausgegangen werden, wie von einer
umfassenden Verantwortung 'der' Architekten für die gebaute Umwelt: deutlich weniger als
die Hälfte der Bauproduktion der Bundesrepublik wird unter ihrer Beteiligung errichtet
(10).
b) Die Forderung nach einer, von Bauherr, wie ausführenden Unternehmen, unabhängigen
Stellung bezeichnet die Konfliktfelder, in denen sich auch heute architektonisches
Entwerfen entfaltet.
Das zentrale Problem scheint nun darin zu liegen, dass die Tätigkeit des Architekten
untrennbar mit einem unbestimmten Begriff von 'Baukunst', 'baukünstlerischer' oder
'gestaltender Planung', wie es die gegenwärtige Architektengesetze nennen, verbunden
bleibt (11). Da zuverlässige Maßstäbe bei der Auslegung dieser Begriffe nicht
bereitstehen (etwa aus der Verfügungsmasse von Welt eins), muß die Tätigkeit des
Architekten seinen Zeitgenossen in diesem Punkt unverständlich bleiben.
Kompliziert wird die Situation damit, dass ein schwer bestimmbares Ideal von der
'Universalität' des Architekten - wohl ein Nebenprodukt des Kunstanspruchs - nicht
aufgegeben wird: Der Architekt ist, wie Poelzig es auf dem Bundestag des BDA 1931
formulierte, niemals Spezialist (12). Die Architektengesetze erheben dieses diffuse
Bekenntnis zur 'Universalität' zur Berufspflicht: die Planung hat technisch und
wirtschaftlich sicher (13), ökologisch und sozial zu sein (14). Doch wie ließe sich ohne
fundierte betriebwirtschaftliche Kenntnis 'Wirtschaftlichkeit' ermitteln, wie ohne
ingenieurwissenschaftliche Ausbildung 'technisch sicher' bauen? Was meint 'ökologische'
Planung? In welcher Hinsicht kann ein langlebiges Produkt wie eine Gebäude überhaupt
'sozial' sein?
Die in vielerlei Hinsicht dunklen und unklaren Vorstellungen über Aufgabe, Stellung und
Leistung des Architekten, die sich nicht auf 'das' Entwerfen beschränken lassen, sind
freilich nicht ohne sein Zutun entstanden: Paradoxer Weise haben sich 'die' Architekten
passiv verhalten, wenn es darum ging, ihre Leistung im Hinblick auf Welt zwei und drei zu
konkretisieren.
3. Rechtliche Normativität und Entwerfen
Verfehlt wäre es jedoch, von einem 'Vakuum' auszugehen, in dem der Architekt
entwerfend agiert. Insbesondere mit dem Abschmelzen von Konventionen im Baugeschehen
bliebe es vielfach der Rechtsprechung überlassen, die Aufgaben des Architekten normativ
zu umreißen.
Von den am Baugeschehen Beteiligten ist in der Bundesrepublik der Architekt die Person,
die am häufigsten vor Gericht steht. Dieser unbefriedigende Umstand läßt sich nicht
ausschließlich auf mangelhafte Leistungen zurückzuführen; er beruht auch auf einer
umfassenden, vielfach falsch verstandenen Verantwortlichkeit, auf Sorglosigkeit und nicht
zuletzt auf geldwerten Vorteilen, die der Architekt 'seinem' Bauherren bietet: Er stellt
als letzter Beteiligter eine Rechnung und verfügt im Gegensatz zu den ausführenden
Unternehmern über eine Haftpflichtversicherung.
Die Rechtsprechung hat in den vergangenen dreißig Jahren hinreichend Gelegenheit gefunden
die Pflichten und die Grenzen der Architektentätigkeit in zahllosen Urteilen zu
präzisieren.
der Architekt - die Baubehörden
Der Architekt ist nicht Anwalt optischen oder gestalterischen Allgemeinwohls: Die
Aufgabe durch Auslegung einschlägiger Vorschriften das öffentliche Interesse zu wahren,
kommt abschließend den staatlichen Bauaufsichtsbehörden zu. Dabei kennen alle
Landesbauordnungen gesetzliche Verunstaltungsverbote (15): eine Verunstaltung ist nach
Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts eine häßlicher, das ästhetische Empfinden des
Betrachters nicht allein beeinträchtigender, sondern vielmehr verletzender Zustand (16).
Abzustellen ist dabei nicht auf das Expertenurteil, d.h. das Geschmacksempfinden des
Architekten, sondern auf den gebildeten, der Sache gegenüber aufgeschlossenen
Durchschnittsbetrachter.
Wie Bachmann in seiner Untersuchung über 'Verhandlungen (mit) der Bauverwaltung'
nachweist, reicht es dabei für den Architekten nicht aus, einschlägige gesetzliche
Regelungen zu kennen und zu beachten. Die vielfach über das Maß des gesetzlich Erlaubten
hinaus reichenden Eingriffe des 'Baubeamtentums' in die Planung erfordern es, selbst bei
einfach gelagerten Sachverhalten in umfangreiche Verhandlungen mit den Behörden zu
treten. Dem Architekten, der seine Interessen und die des Bauherren durchsetzen will, wird
in der Praxis erhebliches 'kaufmännisches Verhandlungsgeschick' abverlangt werden (17).
der Architekt - der Bauherr
Der Architekt schuldet ein 'geistiges Werk'. Gegenstand seines ausschließlich
erfolgsbezogenen Werkvertrags ist das 'Entstehenlassen eines mangelfreien Bauwerks'; wobei
er durch zahlreiche Einzeltätigkeiten eine genehmigungsfähige, technisch und
wirtschaftlich einwandfreie Planung zu verfertigen, die am Baugeschehen Beteiligten zu
koordinieren und den Bauablauf zu überwachen hat (17a).
Noch in den 60er Jahren wurde ihm deshalb die Rolle eines 'Bauanwaltes' zugebilligt, der
die Interessen seines Bauherren umfassend vertritt (18). Dieses Aufgabenverständnis ist
zu revidieren: Er gilt seit den 70er Jahren nunmehr als 'Sachwalter' des Bauherren (19).
Die von den Standesvertretungen gepflegte Vorstellung, es handle sich um einen
'unabhängigen' Bauherrenvertreter, geht insofern fehl, da der Architekt in seiner
Rechtsstellung als weisungsgebundener Werkunternehmer eben dem Bauunternehmer gleicht, der
gegenüber Dritten als Erfüllungsgehilfe des Bauherren tätig wird (20).
Folgerichtig verfügt der Architekt - anders als bis vor einigen Jahren in der
juristischen Literatur vermutet - über keinerlei 'originäre' Vollmacht
rechtsgeschäftliche Handlungen für den Bauherren vorzunehmen (21). Entgegen manchen
Gepflogenheiten der Praxis bleibt er in vollem Umfang weisungsgebunden, sofern
vertragliche Regelungen nichts anderes bestimmen.
Der in gestalterischen Dingen unerfahrene Bauherr ist dabei grundsätzlich nicht
verpflichtet sich dem ästhetischen Willen des Architekten unterzuordnen; vielmehr hat
sich dieser den Wünschen des Bauherren zu fügen (22). Eine Kündigung durch den
Architekten, etwa wegen gestalterischer Differenzen, ist aufgrund der zu erwartenden
Sanktionen außerordentlich risikoreich (23). Ein wichtiger Kündigungsgrund wird i.d.R.
auch dann nicht anzunehmen sein, wenn der Bauherr sich in herabsetzender Weise über die
Qualitäten des Entwurfs äußert (24).
Daß sich Konventionen im Baugeschehen, also in Welt zwei geändert haben, zeichnet
sich z.B. darin ab, dass anders als noch zu Beginn der 70er Jahre, im Fall eines mündlich
erteilten Auftrags nicht die notwendigerweise vollständige Planung - von der ersten
Skizze bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung - übertragen wird; regelmäßig ist von einem
beschränkten Auftragsumfang auszugehen (25).
Gegenüber künstlerischen und gestalterischen Ambitionen zeigt sich die Rechtsprechung
unnachgiebig: Dem Architekten wird die Verpflichtung auferlegt, im Zweifelsfall 'stets den
sicheren Weg' zu wählen, indem die Planung an den technischen und wirtschaftlichen
Interessen des Bauherren, sowie an den Maßgaben der Behörden zu auszurichten ist: Unter
diesem Gesichtspunkt unnötige, die Belange des Bauherren beeinträchtigende, Risiken sind
strikt zu vermeiden (26).
Ohne weitreichende Befugnisse und Vollmacht hat der Architekt dabei die zunehmend
spezialisierteren Teilnehmer des Planungs- und Bauprozesses zu koordinieren. Unterläuft
ihm bei der Bearbeitung seines Auftrags ein Fehler, hat er den Bauherren von seiner
eigenen Haftungsmöglichkeit in Kenntnis zu setzen; kommt er dieser Verpflichtung nicht
nach, verlängert sich seine Haftung auf dreißig Jahre (28).
Diese kurze, für die Architekten keineswegs erfreulichen Skizze, läßt erkennen, dass
dessen Aufgabe kaum dem Ideal eines in Welt eins beheimateten Baukünstlers entsprechen
kann; unter dem Aspekt juristischer Normativität ist er fest in Welt zwei beheimatet.
Zugewiesen ist ihm weder die Rolle eines 'Dirigenten im Orchester', noch ist sein Stern im
Sinken begriffen: Die zunehmend präziser geschnittenen Maßstäbe, an denen er sich
messen lassen muß, fördern eine 'natürliche' Spezialisierung zu Tage:
'Architektur-Designer', 'Wirtschaftlichkeitsarchitekt', 'Bauausführungsarchitekt',
'Bauherrenvertreter auf Zeit', 'Büromanager' etc.
Doch wie ließe sich diese Entwicklung mit dem Ideal des 'Generalisten vom Bau' in
Übereinstimmung bringen?
4. Entscheidungslogische Normativität und Entwerfen.
a) Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure liefert mit § 15 HOAI ein von
dem Baubetriebswirtschaftler Pfarr entwickeltes Planungs- und Entscheidungsmodell. Der
Planungsvorgang wird in neun aufeinanderfolgende Schritte, sog. Phasen, gegliedert, die
sich zu drei übergreifenden Abschnitten zusammenfassen lassen (29): Von der ersten Skizze
bis zur Genehmigung, von der ausführungsreifen Planung bis zur Vergabe der Bauleistung
und schließlich von der Bauüberwachung bis zur Objektbetreuung. Bei diesem sog.
Leistungsbild handelt es sich nicht um eine Gebrauchsanleitung zum Thema sachgerechtes
Entwerfen; die Honorarordnung legt vielmehr nur einen Vergütungsmaßstab fest: jeder der
drei Abschnitte umfaßt ca. ein Drittel des Gesamthonorars.
Soll der Entwurf als derjenige gelten, der sich in Wettbewerbszeichnungen oder - modellen
widerspiegelt und der in etwa der Sonderform des studentischen Entwerfens entspricht, dann
umfaßt dieser Begriff von Entwerfen in der Entscheidungslogik aufeinander aufbauender
Phasen etwa ein Zehntel des gesamten Leistungsumfangs.
b) Bei einem Plan handelt es sich nicht um ein 'abstraktes Gebilde', sondern vielmehr
um einen Beitrag zur Lösung der Aufgabenstellung (30). Es ist zu fordern, dass mit den
ersten Strichen bereits die wesentlichen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen
Anforderungen aus der Bauaufgabe erfüllbar sein müssen. Das planende Entwerfen wäre
somit eine überwiegend synthetisierende Tätigkeit.
Entsprechend der formalen Entscheidungslogik wird die anfängliche Entscheidungsfreiheit
sukzessive - jedoch irreversibel - eingeschränkt. Aufgrund einer Vielzahl zu erfüllender
Anforderungen wird es notwendig, bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt das Ende des
Planungsvorgangs gewissermaßen mitdenken zu müssen. Der Entwurf in diesem Sinne ist also
nicht die Lösung einer Bauaufgabe, sondern vielmehr ein Versprechen, auf dessen Grundlage
die Aufgabe gelöst werden kann. In den darauf folgenden Arbeitsschritten werden die
jeweiligen Zwischenergebnisse bis zur ausführungsreifen Lösung beständig weiter
interpretiert.
Einen Wendepunkt bildet dabei die Ausführung des körperlichen Bauwerks als Nachvollzug
der im Ausführungsplan vorweggenommenen Lösung.
c) Die Forderung mit dem so verstandenen Entwerfen zur Lösung einer 'konkreten'
Aufgabe beizutragen, erweitert diesen Entwurfsbegriff um eine Komponente: Die
Kommunikation zwischen den Beteiligten. Dies betrifft etwa die Formulierung der
Aufgabenstellung, ihre Veränderung in Abstimmung mit dem Bauherren, die Absegnung der
Entwurfsschritte, die Koordinierung der beteiligten Ingenieure, die Abstimmung mit den
einschlägigen Behörden usw.. Verfehlt wäre es davon auszugehen 'das' Entwerfen entbehre
apriori jeder Art von Kommunikation. Freilich ist diese Form des Kommunizierens kein
herrschafts- und zweckfreier Diskurs, wie er u.U. aus Sicht von Welt eins und drei
wünschenswert erscheinen mag. Kommunikation ist vielmehr ein notwendiger Bestandteil der,
auf ein Ergebnis hin ausgerichteten, durch irreversible Entscheidungen gegliederten
Prozeßstruktur.
4. Annäherung an das Entwerfen
Die Zweckgebundenheit von Architektur tritt nicht allein in seinem Ergebnis zutage,
indem das körperliche Bauwerk vorgegebenen Zwecken zu dienen hat. Die Zielstrukturen von
Welt zwei, also der Welt der Bauproduktion, bestimmen maßgeblich den Vorgang planenden
Entwerfens.
In welchem Umfang sich der Entwerfer in der Lage sieht Einschätzungen, Auffassungen und
Anforderungen der am Baugeschehen Beteiligten zu beeinflussen, ist nicht abstrakt, sondern
im Einzelfall zu bestimmen. Von einer originären Herrschaft über den Planungsprozeß ist
aufgrund entgegenstehender rechtlicher Normativität nicht auszugehen.
Entwerfen bezeichnet insofern eine Kunst des Machbaren.
Entwerfen in dem oben skizzierten Sinn ist die Verfertigung eines Versprechens, auf dessen
Grundlage eine Lösung der Aufgabe möglich sein soll. In welchem Umfang und in welchem
Maße dieses Versprechen Verbindlichkeit erlangt, können Bauherr und Architekt frei
vereinbaren. Wird eine Vereinbarung nicht getroffen, greifen die normativ von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
Die daraus resultierende Komplexität des Entwerfens wird aus Sicht von Welt eins, d.h.
durch den architekturalen Diskurs, in der Regel unvollständig wahrgenommen.
Entwerfen in diesem Sinn meint: Die Balance zwischen Festlegung und erforderlicher
Offenheit den Prozesses zu halten.
Im Unterschied zu einem grafischen Entwurf erfordert das architektonische Entwerfen das
Ende des Planungsvorgangs vorauszudenken. M.a.W. der Entwurf als 'geistiges Werk' ist
nicht identisch mit der Entwurfszeichnung als Darstellung des Entwurfs. Die Zeichnung oder
das Modell übernimmt dabei zwei Aufgaben: Als materialisiertes Zwischenergebnis des
Prozesses dienen sie der Entscheidungsfindung über das weitere Vorgehen; in den darauf
folgenden Schritten werden sie weiter interpretiert.
Entwerfen in diesen Sinne findet seinen Abschluß notwendigerweise im Zeitpunkt der
Materialisierung.
Anmerkungen:
(1) Sack, M.: Komplimente und Verrisse, Der Architekt,
5/1995, S.270, 271
(2) Bund Deutscher Architekten: Was wir wollen!, Proklamation anläßlich der Gründung
des BDA 1903, abgedr. in: Gaber, B.: Die Entwicklung des Berufsstandes der freischaffenden
Architekten, Essen 1966, S. 223 - 224
(3) BDA, a.a.O., S. 224
(4) Gaber, B., a.a.O., S.61: Auf dem 13. Bundestag des BDA am 16. 12.1919 in Berlin
wurde die Einrichtung eines 'Bauanwaltstandes' im Königreich Sachsen, sowie ein
Kammergesetzentwurf des Kammergerichtsrats Böthke erörtert, mit dem u.a. die
Berufsbezeichung 'Architekt' geschützt werden sollte.
(5) Architektenkammer Nordrhein-Westfahlen: 1970-1975, Chronik der Architektenkammer
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1975, S.6: Das Architektengesetz (ArchG NW) wurde am
26.11.1969 verabschiedet und trat am 1.4.1970 in Kraft.
(6) Reichskulturkammergesetz v. 22.09.1933 (RGBl. I 1933, S.661),
Durchführungsverordnung 1.11.1933 (RGBl. I 1933, S.797), 'Erste Anordnung' des
Präsidenten der Reichskulturkammer v. 28.09.1934, abgedr. in: Baugilde 1934, S. 677; zu
Gesetzgebungsverfahren und staatlichen Bindungen der Architekten sh. Führ, E.: Was hatten
Architekten und Ingenieure für einen Kulturbegriff zur Zeit des 'Dritten' Deutschen
Reichs?, in: Kuder, U. (Hrsg.) Architektur und Ingenieurwesen zur Zeit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Berlin,1997, S. 56 - 57
(7) Ricken, H.: Der Architekt, Stuttgart, 1990, S.100
(8) Die Zugangsvoraussetzungen sind unterschiedlich geregelt: Berlin, Architekten und
Baukammergesetz (ABKG), v. 19.07.1994 (GVBl. 1994, S.253): erforderlich ist der Nachweis
von 7 Jahren berufspraktischer Tätigkeit, die Vorlage von Planungsunterlagen, weiterhin
ist eine 'Prüfung auf Hochschulniveau' abzulegen, § 4 Abs. 2; Baukammergesetz NW (BauKG
NW) i.d.F. v. 19.03.1996 (GV NW 1996, S.136): die 'Qualität der Leistungen' ist
nachzuweisen; sie wird durch ein Gutachten eines Sachverständigenausschusses bewertet, §
4 Abs.4 ; Architektengesetz M-V (ArchG M-V) v. 12.03.1998 (GS Meckl.-Vorp. GL. Nr.2130-5):
Nachweis 10 jähriger praktische Tätigkeit, Vorlage von Planungsunterlagen, sowie und
eine theoretische und praktische Prüfung § 5 Abs.6; als einziges Bundesland kennt das
Brandenburgische Architektengesetz (BbgArchG) v. 07.04.1997 (GVBl. I S.20) keine
entsprechende Regelung, § 7.
(9) Vergl. Bundesingenieurkammer: Systematische Zusammenstellung der
Bauvorlageberechtigung, Behandlung der Bauanträge in der Musterbauordnung und den
Landesbauordnungen der Länder, Bonn 1998
(10) Feldmann, a.a.O., S.187
(11) z.B. Baukammergesetz NW (BauKG NW) i.d.F. v. 19.03.1995 (GVBl. 1994, S.136):
'Berufsaufgabe der Architektinnen und Architekten ist die gestaltende, technische,
wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung', § 1 Abs.1; Berliner Architekten und
Baukammergesetz (ABKG) v. 19.07.1994 (GVBl. 1994, S.253): 'Berufsaufgabe des Architekten
ist die gestaltende, baukünstlerische, technische, ökologische und wirtschaftliche
Planung von Bauwerken, Siedlungen und Städte', § 1 Abs.1; Schl.-H. Architekten- und
Ingenieurkammergesetz (ArchIngKG) i.d.F. v. 12.07.1995 (GVOBl. Schl.-H. S. 213):
'Berufsaufgaben der Architektin (...) sind im Rahmen ihrer Fachrrichtung die
künstlerische, technische und wirtschaftliche Planung und Gestaltung von Bauwerken' § 1
Abs.1.
(12) abgedr. in Gaber, B.: a.a.O., S. 228. Zu einem unveränderten Berufsverständnis
des Architekten als 'Spezialist fürs Ganze' vergl. von Gerkan, M: Die Verantwortung des
Architekten, Stuttgart 1982, S. 176
(13) Vergl. FN 12
(14) Krücker, W.: Zum Qualitätsbegriff in der Architektur, Der Architekt, 3/1986, S.
144, 'Was aber ist architektonische Qualität, wie wir sie immer wieder beschwören ohne
je den ernsthaften Versuch zu machen, sie genauer zu beschreiben?'
(15) Vergl. § 12 Musterbauordnung (MBO), Abs.1: 'Bauliche Anlagen müssen nach Form,
Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe, so
gestaltet sein, daß sie nicht verunstaltet wirken' (Gebäudebezogenes
Verunstaltungsverbot); Abs.2: 'Bauliche Anlagen sind mit ihrer Umgebung derartig in
Einklang zu bringen, daß sie das Straßenbild, Ortsbild und Landschaftsbild nicht
verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören. Auf die erhaltenswerten
Eigenarten der Umgebung ist Rücksicht zu nehmen.' (Umgebungsbezogenes
Verunstaltungsverbot)
(16) Urteil v. 28.06.1955, BVerwGE 3, S.407, 432
(17) Bachmann, B.: Verhandlungen (mit) der Bauverwaltung, Opladen 1993, S.292 - 315
(17a) Vergl. Locher, H.: Das private Baurecht, München 1993, S.186, Rz.236
(18) Zum Rechts- und Meinungsstand 1973: 'Es entspricht der gewerblichen Verkehrssitte,
im Architekten den Treuhänder und Bauanwalt des Bauherren zu sehen.', LG Köln, Urteil v.
16.01.1973, BB 1973, S. 359f
(19) Der BGH lehnt es mittlerweile ab den Architekten als 'Bautreuhänder' zu
bezeichnen, BGH Urteil v. 5.11.1981, BauR 1982, S.185
(20) Insofern ist es unzutreffend, wenn noch der Einheitsarchitektenvertrag 1995 von
dem Architekten als 'unabhängigem' Sachwalter des Bauherren spricht.
(21) Quack, F.: Die 'originäre' Vollmacht des Architekten, BauR 1995, S. 441ff
(22) BGH, NJW 1971, S. 556
(23) Kündigung aus wichtigem Grund durch den Architekten, z.B. Wirth, A., Theis, S.:
Architekt und Bauherr, Essen 1997, S.168
(24) OLG Düsseldorf, Urteil v. 07.07.1994, BauR 1995, S. 267f; BGH Urteil v.
19.06.1989, BauR 1989, S. 626f
(25) zur vormaligen Rechtslage: OLG Köln Urteil v. 08.11.1972, BauR 1973, S. 251f; OLG
Düsseldorf, Urteil v. 23.02.1978, BauR 1979, S. 262f; neuere Auffassung: OLG Düsseldorf,
Urteil v. 07.11.1978, BauR 1979, S. 347; BGH Urteil v. 04.10.1979, BauR 1980, S. 84
(26) Locher, H.: a.a.O., S. 250 Rz. 250
(28) z.B. Locher, H.: a.a.O., S. 192, Rz. 247
(29) BGH Urteil v. 24.10.1996, BauR 1997, S. 154
(30) Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure
i.d.F. der Bekanntmachung v. 4.3.1991 (BGBl. I S. 533) zuletzt geändert am 21.09.1995
(BGBl. I S. 1174 / BGBl. I 1996 S.51).
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