Thema
4. Jg., Heft 2
Februar 2000

Antonia Dinnebier

Zur Zukunft der ästhetischen Landschaft

Vom Ende der Landschaft als Seh- und Gestaltungsmuster war schon manches zu hören und zu lesen. Ist der Blick erschöpft, die Tradition der landschaftlichen Gartengestaltung passé? Gibt es keine Landschaften mehr zu entdecken, weil wir schon alle gesehen haben, weil wir sie zu stark verändern, zerstören? Ist Landschaft eine Idee des 18. Jahrhunderts, eine Massenbewegung des 19. Jahrhunderts, die heute nicht mehr aktuell ist? Wer einen Blick in die Zukunft zu werfen gedenkt, der ist gut beraten, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Leinwand, Italien und Garten

Landschaft ist eine Sichtweise von Natur. Sie ist kein materielles Ding, sondern existiert nur im Blick ihres Betrachters. Um Landschaft in der empirischen Natur zu erkennen, muß die schöne Natur wie ein Gemälde gesehen werden oder - um eine Formulierung Kants abzuwandeln: Die Landschaft kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Natur und sie uns doch als Kunst aussieht (Kant A 178/ B 180). Die Ideale Landschaftsmalerei prägte semantisch und syntaktisch die Bildidee, der Blick eignete sie sich an. Die Phantasie der Rezipienten hatte sich mit den landschaftlichen Vorstellungen aus Literatur und Malerei vertraut gemacht, als erstmals wirkliche Gegenden als Landschaft aufgefaßt wurden.

Auf zwei unterschiedliche Weisen geschah der Schritt von Landschaft im Kopf zu der in der äußeren Natur. Im Fall der klassischen Landschaft Italiens wird eine Gegend als „von sich aus" den Gemälden ähnelnd empfunden, was freilich insofern wenig verwundert, als sie mehr oder weniger direkte Vorbilder der Gemälde waren, die diese zu Ideallandschaften eines Goldenen Zeitalters umgearbeitet hatten. Diese verklärten Italienlandschaften fanden die Reisenden in den realen Gegenden wieder, wobei Wetter, Jahres- und Tageszeit oder Hilfsmittel wie das Claude-Glas den Eindruck unterstützen konnten. Im Landschaftsgarten wurden diese Bilder, die durch Gemälde, Drucke und Nachahmungen, aber auch durch Italienreisen zum geistigen Besitz der Gebildeten gehörten, in der Realität dreidimensional nachgebaut. Der semantische Gehalt erweitert sich dabei um politische, historische und nationale Bedeutungskreise nichtitalienischer, vor allem englischer Herkunft. Dabei fand eine Anpassung der Landschaftsidee an die englischen Naturgegebenheiten und in begrenztem Umfang an die jeweilige Reallandschaft, in der der Garten angelegt wurde, statt.

Die erste „gefundene" Landschaft war Italien, das aufgrund seiner Identifizierung mit der Klassik eine Ausnahmestellung einnahm. Seine Erfahrung legte den Grundstein zur ästhetischen Entdeckung anderer Gegenden. Auch der Landschaftsgarten bildet einen Sonderfall, da er als gebaute Landschaft eine bewußt zum Kunstwerk geformte Naturenklave bleibt. Weil er jedoch an beinahe jedem Ort herstellbar ist und programmatisch über seine Grenzen hinausgreift, trägt er zu der Verallgemeinerung bei, daß Landschaft prinzipiell überall gefunden werden kann. In jedem Fall führen Italien und der Landschaftsgarten den Betrachter hinaus in den dreidimensionalen Naturraum und machen ihn über die Ideallandschaft mit der nicht oder wenig kultivierten lebendigen Natur vertraut, die er in der Einheit von Selbstbewegung und ästhetischer Betrachtung erlebt. Für die Erschließung anderer Reallandschaften übernehmen beide eine ästhetische Orientierungsfunktion neben den Gemälden.

Die Ideale Landschaftsmalerei bleibt als viel zitiertes Vorbild an der Erschließung weiterer Reallandschaften beteiligt, doch sie verliert, nachdem die Landschaft aus den Gemälden in die Empirie getreten ist, ihre Innovationskraft für die Sehgewohnheiten. Die Ideallandschaft verfestigte sich zum Muster, das zwar bis heute wirksam ist, jedoch außer einigen thematischen Erweiterungen kaum mehr Veränderungen in sich aufnahm. Andererseits wird sie von den Vertretern des Pittoresken zum malerischen Blick verallgemeinert, der vom Bildcharakter auf die Werte von Licht und Schatten, Flächen und Linien abstrahiert. Eine Beteiligung an der Sichtbarmachung einzelner Landschaften kommt der zeitgenössischen Malerei insofern zu, als die Maler oft die ersten waren, die die Schönheit einer Gegend bemerkten und bekannt machten. Dabei kam es aber nicht auf neue Darstellungsweisen, sondern auf ein Porträt des wirklichen Orts an. Dessen Wiedergabe im Licht einer idealisierenden Landschaftsauffassung leistete oft eine Brückenfunktion von den auf die gemalten Vorbilder fixierten Sehgewohnheiten zu dem realen Naturausschnitt.

Andere Landschaften verdanken ihre Entdeckung der Literatur, die deren Besonderheiten in ihren Texten herauskristallisierte und durch ihre Veröffentlichung für die Bekanntheit der Orte sorgte. Der bildhafte Blick verselbständigte sich aber auch, so daß wandernde Landschaftsbetrachter in immer neuen Gebieten das wiederfanden, was sie von den sich vervielfachenden Vorbildern kannten. Leitend für die „zweite Generation" von Freilandschaften sind nun über die gemalten Ideallandschaften hinaus die zuerst entdeckten realen Landschaften, also Italien und der Landschaftsgarten, doch können auch die später eroberten Gegenden selbst wiederum zu Leitbildern der weiteren landschaftlichen Erschließung werden.

Hochgebirg, Harz und Heide

Sehen wir uns einmal unter den klassisch schönen Landschaften um:

Lake District

Am Anfang der Reihe ästhetisierter Gegenden steht der Lake District im Nordwesten Englands, dessen Entdeckung zum einen durch einen Brief Dr. John Browns von 1753, zum anderen durch ein Gedicht Dr. Daltons von 1758 dokumentiert ist. Während das Gedicht nach seiner ersten Veröffentlichung mit wenig Beachtung aufgenommen wurde, fand der Brief Browns bereits vor seinem späten Druck 1767 ein großes Echo. Er enthält „the earliest critical and comparative examination of romantic scenery" (Hussey 1927, 99). Hussey nennt 1768, das Jahr, in dem Daltons Gedicht und Browns Brief noch einmal zusammen erschienen, „a landmark in the history of the picturesque" (Hussey 1927, 100), denn ihre Romantisierung des unkultivierten Naturraums veranlaßte Arthur Young im gleichen und Thomas Gray im folgenden Jahr, in den wilden Norden Englands zu reisen, wohin ihnen bald unzählige Besucher folgten. Young veröffentlichte mehrere Beschreibungen dieser Gegend, in denen sich Berichte von der Landschaft mit solchen über Landwirtschaft, Landsitze und Gärten mischen. Daß er die Gegend, zu deren Betrachtung er sich auch des Claude-Glases bediente, als eine Reihe von Bildern sieht, stellt ihn in die Tradition englischer Landschaftspoesie von Thomson und Dyer. Doch er wendet den bildhaften Blick auf eine wirkliche Landschaft an, die er durch Vergleiche mit den italienischen Gemälden und unter Benutzung der Amphitheater-Metapher in Worte zu fassen sucht. „Here is, at least, the ‘paradise’ of the mediaeval and sixteenth-century scenic descriptions, viewed distincly as an ideal arcadian, landscape, through the imaginary frame of a picture." (Hussey 1927, 103) Youngs Bücher über den Lake District gehörten schnell zur englischen Standardliteratur jener Zeit und verschafften der Gegend sowohl eine große Bekanntheit als auch viele Besucher. Nach dem Lake District dehnte sich die Begeisterung für die rauhe Wildnis auf Schottland und Wales aus.

Schweizer Alpen

Bereits Albrecht von Haller hob mit seinem Gedicht von 1729 die Schweizer Alpen ins Bewußtsein des lesenden Publikums, das bis dahin auf den locus amoenus fixiert gewesen war. Auch Haller greift diese Tradition auf und veredelt die Bergwelt zu einem „Arkadien" der Almbauern. Er ästhetisiert zwar auch die erschreckenden rauhen Berge, doch gilt sein Interesse der Landschaft eher beiläufig, denn in erster Linie geht es ihm um Zivilisationskritik und eine Darstellung der Nützlichkeit auch des Unschönen. Die Alpen selbst bleiben hier die Kulisse, die er anschaulich, aber noch ohne Empfindungen schildert.

1761 wurde durch Jean Jacques Rousseaus Roman „Julie oder die neue Héloise" zum Schlüsseljahr des empfindsamen Genußes der vom Menschen unberührten Alpennatur. Die seelische Beziehung zur großen, wilden und kontrastreichen Gegend ist hier durch die Einsamkeit ihres Besuchers und seine ästhetische Freude am Schrecken des erhabenen Natur gekennzeichnet, in der er seine Empfindungen gespiegelt findet. Rousseaus Schilderung der Gegend um den Genfer See gab den Anstoß zu einer wahren Alpenbegeisterung, auf deren Spuren viele Besucher in die Schweiz reisten. Zwei Bilder des Malers Caspar Wolf dokumentieren 1773 und 1778 die neue Wahrnehmung der Berge (Großklaus 1983, 179).

Unter der Bezeichnung Alpen versteht man aber zunächst noch nicht Schneegipfel und Gletscher, sondern „die untere noch mit Pflanzengrün bekleidete, vom tätigen Menschen belebte Gegend" (Gehmlich 1936, 259). Das eigentliche Eisgebirge oberhalb der Schneegrenze wird erst in den 90ger Jahren des 18. Jahrhunderts ästhetisch erschlossen und gilt bis dahin als reizlos oder sogar abstoßend. Vorher lösen die Alpen die Vorstellung eines zivilisationsfernen sittlich guten Lebens in ländlicher Natur aus. Aufgrund der differierenden Schweizbilder wurden sowohl Gegenden, die der lieblichen Natur der Anfangszeit entsprechen, als auch solche, die alpinen Charakter haben, unter dem Vorbild der Schweiz entdeckt und nach ihr benannt.

Die charakteristischen Elemente des Erlebnisses der Alpenlandschaft sind, wie Raymond anhand von Reisebeschreibungen herausgearbeitet hat, der nackte, rauhe Fels, Anzeichen aller Jahreszeiten auf kurzer Wegstrecke und besondere atmosphärische Erscheinungen wie das Alpenglühen (1993, 133-140). Abwechslung, Mannigfaltigkeit und Kontrast werden von den Reisenden positiv hervorgehoben und die Bergwelt mit einer Reihe von sich zu Standards verfestigenden Worten in Sprache gefaßt: die Meermetapher, geometrisch-räumliche Figuren und architektonische Formen und Bauwerke, Personifizierung und Anthropomorphisierung, aber auch die eigene Sprachlosigkeit und die Empfindung eines Wechselbads der Gefühle (Raymond 1993, 142-162; 139). Raymond zeigt, wie sich innerhalb der Alpen einzelne Motive herausbildeten, die für die weitere Erschließung des Gebiets eine interne Vorbildfunktion hatten. So wurden die Jungfrau und der Mont Blanc ausschlaggebend für die Literarisierung anderer Berge, Grindelwald, Montanvert- und Rhonegletscher zu den Gletschern, der Rhein- und der Staubbachfall zu den wichtigsten Wasserfällen (1993, 166-175), die Via mala und die Schöllenen die bevorzugten Felsenschluchten (1993, 175-181). „Der an den Leitbildern gewonnene Eindruck wurde zum Erlebnismodell für die Begegnung mit Gegenden des durch sie repräsentierten Landschaftsmusters, die an ihnen entwickelte Beschreibung zum Vorstellungsschema und zur Sehanleitung der Leser." (Raymond 1993, 181)

Sächsische, Fränkische, Holsteinische und andere Schweizen

Die Benennung anderer Gebiete als Schweizen, Siedentop zählte 116 „Schweizen" (1973, 1977, 1983), bezieht sich in Mitteleuropa „weniger auf Hochgebirgslandschaften als auf Niederungen, Hügel- und Mittelgebirgslandschaften" (Siedentop 1984, 127). Man hat es bei diesen Gebieten „einerseits mit lieblichen, oft von zahllosen Seen durchsetzten Gegenden (Mecklenburgische Schweiz) andererseits mit romantisch-eindrucksvollen Felspartien (Neuffener Schweiz) oder auch vielbesuchten Bergregionen (Schönbecker Schweiz) zu tun, die jedoch nicht im entferntesten an Gebirgspanoramen der Schweiz erinnern" (Siedentop 1984, 127). Dieses Bild der im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts ästhetisch erschlossene Schweiz wurde am Ende des Jahrhunderts zum Vorbild der Entdeckung einiger Landschaften in Deutschland, also zu einer Zeit, als die Eislandschaft der Alpen bereits in den Kanon des Erhabenen Aufnahme gefunden hatte.

Als Entdecker der Sächsischen Schweiz gilt Götzinger, der in seinen Schriften 1786 und 1804 das Elbsandsteingebirge so bezeichnet. Die Benennung geht auf den Kreis um den Prospektmaler und Kupferstecher Adrian Zingg in Dresden zurück, zu dem auch einige Schweizer gehörten, so auch Conrad Gessner, der Sohn des Idyllendichters und -zeichners Salomon Gessner. Zingg und seine Schüler unternahmen Ausflüge in die Umgebung, zuerst nach Hohnstein, dann nach Liebethal, wo sie die Gegend zeichneten. Neben den Erlebnissen der Schweiz steht auch diesen Malern die Ideale Landschaftsmalerei beim Anblick des Elbsandsteingebirges stets vor Augen. In den Briefen Gessners an seinen Vater erwähnt er 1785 „Felsen, wie sie Berghem malte, Wasserfälle, schöne große Bäume und ganz Everdingsche Gründe", „Ruysdaels schöne Landschaften" und „Ruysdaels Colorit" (zit. nach Gehmlich 1936, 257/8). „Sobald der Morgen graute, hoben wir uns von unserer Streue und stiegen ins Tal hinab, da<s> ein kleiner Fluß durchschlängelt, der, über große Steine plätschernd, kleine Wasserfälle bildet. Ganz tief im Tale, von hohen Felsen, großen Fichten und breiten Buchen eingeschlossen, sprudelt er über eine pittoreske Felsmasse herunter; hier an diesem dichterischen Flecke, der das angenehmste Bild von der Welt ausmacht, war unsere Werkstätte; die Sonne durchbrach malerisch schön hie und da dies Dunkelgrün, und das Colorit war prächtig, da es schon voller Herbst ist. Alles erscheint bunt und doch voller Harmonie <...>" (Gessner zit. nach Gehmlich 1936, 258).

Das Charakteristische der Sächsischen Schweiz bilden die amorph geformten Sandsteinformationen, die auch C. D. Friedrich oft dargestellt hat. „Der ästhetische Eindruck, den Götzinger vom Gebirge empfängt, wird bestimmt durch die grotesken Felsengebilde, die einsame stille Täler und Gründe belebt, und vor allem durch die Fernsicht, die vor dem Auge des Beschauers weite, am Horizont von blauen Berge begrenzte Kulturlandschaften ausbreitet." (Gehmlich 1936, 261/2)

Auch die Fränkische Schweiz zeichnet sich durch eigenartige Felsformationen, die, hier in Kalkstein, nicht im heutigen Sinn Alpines an sich haben. Vor der Landschaft machten bereits ihre Höhlen den Landstrich attraktiv, die seit 1774 in einer regelrechten Höhlenforschung erkundet wurden. 1793 begann die Entdeckung der schönen Gegend mit der Wanderung Wilhelm Heinrich Wackenroders und Ludwig Tiecks von Nürnberg aus und erlebte Anfang des 19. Jahrhunderts ihren ersten literarischen Höhepunkt. 1912 benutzte Johann Christian Fick zuerst die Bezeichnung in Anlehnung an die Schweiz, die sich in den 30ger Jahren durchsetzte (Schemmel 1988, 3/4) .Regelrechte Ansichtenwerke der Fränkischen Schweiz erschienen in raschen Folge seit (Schemmel 1988, 10-12). Wichtige Bestandteile der „Landschaft" waren für die Romantiker die Burgen und Burgruinen, denen sich eigene Darstellungsreihen widmen. Eine erste, eher naturkundliche Gesamtdarstellung, die auf Höhlen und Felsen, auf Tiere und Pflanzen eingeht und Auszüge aus der örtlichen Geschichte umfaßt, gibt 1810 Georg August Goldfuß heraus. 1829 folgt ein Reisehandbuch von Joseph Heller, das zum Vorläufer der späteren Führer wurde, die sich auf die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs konzentrieren (Schemmel 1988, 10).

Mit noch sanfteren Erhebungen begnügt sich die Holsteinische Schweiz, deren Entdeckung einige Bilder Ludwig Philipp Stracks dokumentieren: „Der Ukleisee" von 1799, „Ukleisee bei Sielbeck" 1809/10 und eine Folge von Ansichten des Herzogtums Oldenburg von 1827. Der Maler stand im Dienst des Herzogs Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg, hatte aber in Georg Friedrich Baur auch einen wichtigen bürgerlichen Auftraggeber (Kaufmann 1987). Beide legten Landschaftsgärten an und ließen sie von Strack malen. Dieser blieb nach einem mehrjährigen Italienaufenthalt dem dort geprägten Stil klassizistischer Ideallandschaften treu. Mit der Wiedergabe holsteinischer Gegenden ging er aber darüber hinaus und hatte an der ästhetischen Würdigung Ostholsteins teil, das weder künstlerisch gestaltet noch klassisch ist. Wenn Stracks Darstellungsweise hier auch nicht der italienischen Manier folgt, so idealisiert er die Gegend doch durch die bekannten Rahmungs- und Lichteffekte.

Eine ähnliche Sichtweise des Gebietes um den Ukleisee findet sich auch bei dem Idyllendichter Johann Heinrich Voß, der wie Friedrich Leopold Graf von Stolberg mit Strack gut bekannt war. Er entwarf seine literarischen Schauplätze nicht mehr allein nach dem Arkadien-Motiv, sondern entnahm sie tatsächlichen Naturbeobachtungen. „Beide stellen zwar idealisierte, idyllische Szenen dar, die Schauplätze sind aber landschaftlich zu orten." (Kaufmann 1987, 23)

Entscheidend für die Erschließung des schönen Landstrichs um Eutin, Plön und Malente war das Arkadienbild des Landschaftsgartens: „Hügel von mäßiger Höhe, die wellenförmig das Land durchziehen, dazwischen Seen, Teiche, kleinere Flußläufe und Bäche." (Kaufmann 1987, 12) Dieses Aussehen hatte 1790 den Lübecker Maler Heinrich August Grosch zu dem frühesten Vergleich mit der Schweiz veranlaßt (Kaufmann 1987, 53). Die Reisebeschreibungen heben immer wieder das Heitere, Idyllische, Üppige, Liebliche, Mannigfaltige usw. hervor, wobei der Ukleisee düstere und melancholische Nuancen hinzufügt. Das Bild der Freilandschaft rührt aber nicht nur von ihrer natürlichen Gestalt, sondern auch von der Agrarreform des 18. Jahrhunderts her, die einerseits zur Vergrößerung der bewirtschafteten Einzelfläche, andererseits zur Anlage der Knicks geführt hatte.

Rheintal

Den Rhein, den seit langem viele Reisende auf dem Weg nach Italien hinuntergefahren waren, ohne an mehr als an seinen fruchtbaren Ebenen Gefallen zu finden, haben die Engländer als „Landschaft" entdeckt. Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es Literaten, die sich von der erhaben wilden Bergkulisse um den Fluß beeindrucken ließen. Die Engländer sahen den Rhein aber auch als einen erweiterten Landschaftsgarten, der ihnen die von dort bekannten Abwechslungen von Hügeln, Ebenen, Kornfeldern und Wäldern um den gewundenen Fluß und selbst Ruinen bot (Dischner 1972, 89; Peters 1992, 241). Ihre Faszination von den Ruinen ging auf das im Zusammenhang mit dem englischen Garten entstandene Gothic Revival und die im 18. Jahrhundert verbreitete Ruinenpoesie zurück.

Als Wegbereiter einer Welle der Rheinbegeisterung gilt William Beckford, der seine Rheinerfahrungen von 1782 ein Jahr später als Roman veröffentlichte. Er war der erste, „der in mehr als einem Gedicht oder in einigen Sätzen die Rheinlandschaft romantisiert" (Dischner 1972, 126). Ihm gefielen die Vielfalt und die Farben der Landschaft, die Verbindung von Felsen und Burgen, die seine Phantasie zum Weiterspinnen der beobachteten Szenen ins Märchenhafte veranlassen. Obwohl hier keine wirklichen Beschreibungen aufgenommen sind, trug Beckford doch erheblich zur Popularisierung der Rheinromantik bei (Haberland 1992, 47).

Auch andere Vertreter der Schauerromantik fühlten sich vom Rhein und seinen Ruinen inspiriert. Ann Radcliff besuchte 1794 den Rhein, den sie verhältnismäßig realistisch in ihrem veröffentlichten Reisebericht beschrieb, während Mary Shelley ihre beiden ersten Reisen im Roman „Frankenstein" verarbeitete. 1816 schuf Lord Byron in seinem Gedicht „Childe Harold’s Pilgrimage" eine Schilderung des Drachenfels’, auf deren Spuren viele Engländer nach der Aufhebung der Kontinentalsperre an den Rhein reisten. Der literarischen Entdeckung folgte eine verstärkte künstlerische Verarbeitung des Rheins in England erst in den 20ger und 30ger Jahren des 19. Jahrhunderts (Haberland 1992, 51).

Die deutsche Rheinromantik entstand erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts und knüpfte kaum an die englische an (Dischner 1972, 201-246). Mit Goethes Rheinreise 1774 deutete sie sich erst an, Heinses Briefe über sein Erlebnis der Gegend 1780 blieben ein vereinzeltes frühes Dokument. Der Reisebericht Aurelio de’ Giorgi Bertòlas von 1787 weist schon deutlich auf die Romantik. Als das Entstehungsdatum der deutschen Rheinromantik kann aber erst das Jahr 1802 gelten, in dem Clemens Brentano und Achim von Arnim am Rhein wanderten und Friedrich Schlegel über ihn schrieb. Sie standen begrenzten und äußerlichen Naturbetrachtungsweisen, wie sie ihnen im malerischen Blick und im Landschaftsgarten gegeben erscheinen, skeptisch gegenüber und zogen die Freiheit der wilden Natur und vor allem der Berge vor. „Für mich sind nur die Gegenden schön, welche man rauh und wild nennt, nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur." (Schlegel zit. nach Haberland 1992, 137)

Wiener Gegenden

In engem Zusammenhang mit dem Landschaftsgarten steht hingegen die Entdeckung der Gegenden um Wiener, die ihren Ausgang von den um die Stadt herum angelegten Landsitzen mit ihren Parks nahm. „Erst die Versuche, die Landschaft künstlich neu zu produzieren, brachten das wirklich neue Verständnis für die Landschaftsräume mit sich." (Hajós 1989, 130) Zwischen 1770 und 1800 wurde der Kunstwelt eine große Anzahl von Landschaftsgärten zum Vorbereitungsraum für die Erkundung der Wiener Naturumgebung, indem die Gartengestaltung die Vorgaben der Gegend aufnahm und sie im Park zum symbolischen Ort verdichtete. „Die Wiener Gegend wird der genius loci für diese Landschaftsgärten, in denen sie schrittweise begreifbar, ästhetisch anerkannt wurde." (Hajós 1989, 15) Die Gärten greifen zum anderen durch Ausblicke und verschönernde Eingriffe in ihre Umgebung aus. „Außerhalb des Kernbereichs <der Gärten> wurden <...> nur einige Wege, manche Sichtachsen für die Aussicht und einige Punkte markiert, die in die vorhandene Struktur dieser Landschaft nicht verändernd eingriffen, sondern ihre Eigenart (genius loci) ausdrücken wollten." (Hajós 1989, 122)

Der Prozeß der ästhetischen Anerkennung der ungestalteten Natur des Wiener Umlands beginnt in den 60ger Jahren des 18. Jahrhunderts, in denen sich der Maler J. C. Brand der örtlichen Landschaft annimmt. Der Pater Mathias Fuhrmann würdigt 1766 mit der „Historischen Beschreibung … von Wien" die Landschaft rein ästhetisch und ruft dazu auf, der Leser solle selbst die Aussichtsberge ersteigen und sich ein eigenes Bild machen (Hajós 1989, 22). 1790-1810 erobert sich die topographische Literatur den ästhetisch konstituierten Begriff der Wiener Gegend und trägt zu seiner Verankerung im öffentlichen Bewußtsein, zu seiner Erwanderung und Erfahrung bei.

Harz

Über den Harz erscheint bereits 1703 ein erster Reiseführer, der sich noch nicht der Landschaft, sondern den Höhlen, Klippen und Felsen als kuriosen Einzelobjekten widmet. V. Rohrs Führer von 1739 nimmt schon landschaftliche Momente wahr, findet aber erst mit der Romantik eine breitere Nachfolge. „Für den Touristen wird etwa zwischen 1750 und 1840 die gebändigte und dem Bergbau nutzbar gemachte Natur zur Hauptsehenswürdigkeit." (Bodenstein 1972, 24) Das Interesse richtete sich dabei auf den Oberharz, eine schwachbewegte Hochfläche mit breiten Kuppen und tief eingeschnittenen Tälern.

Die Romantik, die um die Wende zum 19. Jahrhundert die Harzlandschaft erschloß, bevorzugte hingegen den niedrigeren Unterharz mit seiner sanft modellierten Landschaft, die wegen ihrer Vielfältigkeit und ihrer Ruinen gerühmt wurde. Die ästhetische und historisch orientierte Sichtweise der Romantik prägt das ganze Jahrhundert, das zunehmend nationale Anknüpfungspunkte für den Besuch des Harzes sieht.

Der Oberharz gewinnt erst mit dem Aufkommen des Wintersports an neuerlicher Bedeutung; 1914 erscheint der erste Oberharzer Winterreiseführer (Bodenstein 1972, 27). Die landschaftliche Entdeckung des Oberharz’ fällt der Jugendbewegung zu, die sich von den touristisch überlaufenden Gebieten ab- und dem herben Ernst der Hochfläche zuwendete.

Heide

Besonders spät entdeckte das ästhetische Interesse das norddeutsche Flachland, die Marsch- und Geest-, die Heide- und Moorlandschaften, die lange gegenüber den Mittelgebirgen und selbst gegenüber dem sanfter bewegten Ostholstein als reizlos galten wie der Oberharz im Vergleich zum idyllischeren Unterharz: „Ebenen, weite Flächen ohne wesentliche Unterbrechung, Gleichförmigkeit der gesamten Oberfläche, alles beherrscht von der ruhigen Linie eines weiten Horizonts" (Trüper 1928, 6). 1790 vermerkt Georg Forster erstmalig ästhetische Charakteristika, Licht- und Farbeindrücke und die Ferne, mit Gefallen, das sich jedoch allein auf das landwirtschaftlich kultivierte Flachland bezieht. In den 30ger Jahren des 19. Jahrhunderts tauchen Ansätze auf, Westfalen, das seit dem 17. Jahrhundert Gegenstand besonderer Abneigung gewesen war, zu würdigen. Der Versuch, die noch leicht bewegten Gegenden nach dem Muster der Mittelgebirge zu betrachten, stand noch in der romantischen Tradition, die keinen Blick für die Ebene entwickelt hatte.

Immermann gelang es dann, die Anspruchslosigkeit als das Landschaftstypische herauszuarbeiten, „einfache Baumgruppen, kleine umwachsene Weideplätze, Gesträuch, Gräben und Weiher", und die Atmosphäre des Schweren und Herben einzufangen (Trüper 1928, 66/67). Zur eigentlichen Dichterin dieser Landschaft wurde Annette von Droste-Hülshoff, weil sie keinen Wert auf das Schöne legt, sondern sich ganz dem Charakteristischen verschreibt, das ihre realistische Poesie wiederzugeben sucht. Freilich begnügte sie sich nicht mit bloßer Beschreibung realer Landschaftsausschnitte, vielmehr lag ihr daran, über das Zufällige zum Typischen zu gelangen und das Wirkliche ins Geistige zu erheben (Trüper 1928, 76/77). Doch sie suchte statt im Jenseits religiöser oder mythischer, arkadischer oder erhabener Vorstellungen im Sichtbaren nach der Poesie der Gegend. „Die ‘Entdeckung’ dieser Landschaft war also vor allem die Entdeckung ihrer typischen Stimmung <...> das nordische Element der norddeutschen Landschaft, all das unromantisch Schwere, breit Gelagerte, Herbe, Dunkle in ihr trat jetzt notwendigerweise für den Blick des Künstlers ganz in den Vordergrund" (Trüper 1928, 109). Das Einsamkeitserlebnis steht in der Ebene in anderen Zusammenhängen als in den Bergen, es ist von Lautlosigkeit geprägt, dem ganzen Raum ausgeliefert, der weniger etwas Körperhaftes hat, als von der Linie repräsentiert wird.

Die Hamburger Malerschule griff das Thema des Flachlands auf und begab sich in der Umgebung Hamburgs auf die Suche nach dem anspruchslosen Landschaftsmotiv, das einige von ihnen später in Süddeutschland (Dachauer Moos) wiederfanden (Trüper 1928, 140-142). So wurde nach dem lieblichen Naturort und der aufregenden Berggegend auch die Ebene ästhetisch erschlossen, die sich dem Idyllischen und Heroischen des Arkadischen entgegensetzt. Das Ländliche ist hier zwar nicht mehr ideal gesehen, aber es kann stimmungsvoll betrachtet werden, wobei diese Stimmung freilich weder rokkokohaft noch romantisch ist.

Landschaft am Ende?

Die Idee der Landschaft hat die Kraft zur zunehmenden ästhetischen Erschließung des Raums bewiesen, indem stets weitere Gegenden "entdeckt" wurden. Resümieren wir die in der Geschichte dieser Entdeckungen bewiesene Dynamik der Landschaft.

Im Anfang war es recht aufwendig, Landschaft zu erleben, man mußte sich an ausgesuchte Orte begeben, in eigens angelegtem Ambiente wandeln, ja, im Zweifelsfalle gar bis nach Italien reisen. Dann wurde es einfacher, denn man machte die Entdeckung, daß Landschaft direkt vor der Haustür liegt. So wurde die Landschaft in Mitteleuropa entdeckt. Doch irgendwann schienen diese Landschaften visuell verbraucht und materiell auf dem Weg des Verschwindens - gefährdet, überbaut, zerstört. Postkartenbilder füllen den Kopf mit Klischees und Staub. Der röhrende Hirsch im Bayrischen Wald, der Sonnenuntergang auf Capri, die Kreidefelsen auf Rügen usw. Alles bekannt; man braucht schon lange nicht mehr hinzufahren.

Wieder trat man lange Reisen an, um unberührte Gegenden zu erleben, die ermüdeten Werte durch Steigerungen zu beleben: Bergsteigerische Höchstleistungen in dünner Luft, liebliche Natur in exotischer Ferne, Monotonie in der Wüste. Doch auch die ausgefallensten Ecken dieser Erde sind irgendwann angeeignet und verflacht, die Reserven schwinden. Mag der Blick sich nun ins Weltall richten und neuen Dimensionen landschaftlicher Schau entgegensehen.

Der Schluß, daß das Muster „Landschaft" nur durch weitere räumliche Erschließung am Leben zu erhalten sei, scheint eine logische Folgerung. Wer sie jedoch zieht, der verkennt die Dynamik des Prozesses. Denn plötzlich ruft jemand: „Guck mal aus dem Fenster" und wir beginnen vielleicht erneut zu erkennen, daß um uns herum Landschaft ist. Nicht die von den Postkarten, nicht die aus dem Reiseprospekt, sondern eine andere. - Was gibt es hier noch zu entdecken, hier in einer Gegend, die wir glaubten, wie unsere Westentasche zu kennen?

Machen wir uns auf die Suche. Dabei stellen wir zunächst einmal fest, daß es offenbar zwei Sorten von Landschaften gibt. Einmal die schönen, vor denen wir uns sicher sind, daß es sich um Landschaft handelt, und dann die, die wir uns scheuen, als Landschaft zu bezeichnen. Wenn wir uns bemühen, gelingt es uns, auch sie mit landschaftlichen Augen zu sehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir zugleich das Urteil „häßlich" fällen. D. h., hier liegt zwar etwas vor, das irgendwie auch Landschaft ist, aber schön ist sie nicht. Damit haben wir die Erkenntnis gewonnen: Landschaft zu sehen, ist damit verbunden, ein ästhetisches Urteil zu fällen.

Die ästhetischen Augen geöffnet, sehen wir also vor uns Landschaft und bleiben bei unserem Urteil, daß diese Landschaft häßlich ist. Wir sind längst in einer historischen Phase, in der jede Gegend mit landschaftlichen Augen gesehen werden kann. Es gibt schöne und häßliche, langweilige und aufregende Landschaften, wir haben die Auswahl und keine prinzipiellen Probleme, landschaftlich auf diese Gegenden zu gucken. Schönheit ist also nicht das Kriterium für Landschaft. - Auf dem Weg zu neuen Landschaften sind wir deshalb jedoch noch nicht, wenngleich es sicher noch viele häßliche Gegenden gibt, die in ihrer Landschaftlichkeit bislang nicht recht gewürdigt worden sind. Häßlichen Landschaften nämlich mag kaum jemand sein ästhetisches Feingefühl aussetzen.

Die schönen Landschaften allerdings sind bekannt, hier gibt es wenig Neues zu entdecken, höchstens etwas aufzuwärmen. Sie sind in unserem Zusammenhang somit kaum von Interesse. Also wenden wir uns den häßlichen Landschaften zu. Wir finden sie zwar nicht schön, stellen aber fest, daß wir uns in häßlichen Landschaften zuhause fühlen können. Wem eine Gegend als Heimat ans Herz gewachsen ist, der wird sie freilich auch kaum als häßlich bezeichnen. Er urteilt gar nicht nach ästhetischen Kriterien. Der Fremde hingegen hat es leichter, ein ästhetisches Urteil über eine Gegend zu fällen, denn er blickt aus der Distanz auf sie. Den Einheimischen hindert seine heimatliche Verbundenheit meist daran, eine solche Distanz einzunehmen. Deshalb ist er selten in der Lage, seine heimische Umgebung als Landschaft zu sehen. - Landschaft findet sich somit eher in der Fremde. - Lassen wir also die heimatliche Vertrautheit hinter uns und schreiten fort auf dem Weg, neue Landschaften zu entdecken.

Wenn wir den Sonnenuntergang über den Slums der Dritten Welt schön finden, meldet sich vermutlich das schlechte Gewissen. In unserem ästhetischen Urteil kümmern wir uns aber weder um soziale Notstände noch um ökologische Befunde. Ob eine Gegend artenreich, ob sie belastet ist, das interessiert den landschaftlichen Blick nur, insofern daraus visuelle Folgen entstehen. Sein Interesse bleibt aber auch dann ästhetisch. Kann man den Artenreichtum nicht sehen, spielt er für die Charakteristik einer Gegend als Landschaft keine Rolle. Landschaft ist daher ein Bild.

Landschaftsbilder aufzufinden, die uns gefallen, ist heute weitgehend Sache von Profis, denn in Werbung und Tourismus lassen sie sich vermarkten. Sie sind dabei nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil unser Schönheitsempfinden offenbar recht gut kalkulierbar ist. Es scheint Idealtypen von Landschaft zu geben, die nicht von Werbeprospekten erfunden sind, sondern die Basis für deren Erstellung bilden. Beurteilen wir eine Gegend als häßlich, so entspricht sie nicht diesen Idealen. - Wir haben mithin Ideallandschaften im Kopf, die unser Urteil prägen.

Das wirft sogleich die Frage auf, wie diese Landschaftsideale in den Kopf gekommen sind? Gottgegeben sind sie nicht, denn die Aufnahmen von Meeresbrandung, Gebirgsmassiv und Heide, die unser Herz aufgehen lassen, hätten frühere Generationen keineswegs mit Glück erfüllt. Im Prozeß der Herausbildung des Musters Landschaft müssen auch die Ideale entstanden sein, die bis heute in unseren Köpfen herumgeistern. Wie wir anfangs sahen, hatte vor allem der Malerei einen großen Einfluß auf die Verbreitung und Festigung der Ideale, auch die Literatur hatte Anteil und die Gartenkunst. Reiseführer, Postkarten, Drucke, längst auch Fotographie und Film tragen zur Verbreitung der schönen Bilder bei. - Landschaft ist nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein kulturhistorisches Ding.

Bei näherer Betrachtung dieses kulturhistorischen Prozesses, sehen wir das Muster Landschaft in enger Verbindung mit den Ideallandschaften entstand. Was man auf Gemälden gesehen hatte, die im Atelier und keineswegs vor der Natur gemalt waren, also das was man für Phantasieprodukte halten sollte, das fand man plötzlich draußen wieder. Die auf diese Weise entdeckten Gegenden wandelten sich bald zu Vorbildern und öffneten das landschaftliche Auge für weitere Gegenden. Die ästhetische Bewertung schlug dabei um, die öde Heide erschien jetzt schön, die chaotischen Berge erhaben, die langweilige Küste interessant. - Der Blick auf die Landschaft ist wandelbar.

Wenn sich der ästhetische Wert einer Landschaft aber ändern kann, dann ist die Anzahl schöner Landschaften nicht prinzipiell begrenzt. Dann muß der Vorrat solcher Landschaften nicht notwendig zur Neige gehen, wenn Gegenden verändert, wenn sie, wie wir so gern sagen, zerstört werden. Mit ihrem neuen Aussehen gewinnen wir die Chance, die Gegend auch neu zu sehen. „Häßlich" kann erneut in „schön" umschlagen. Und nun wird die Sache richtig interessant, denn auch unsere Ideale sind nicht von jener Endgültigkeit, die wir zunächst zu erkennen glaubten. Lucius Burckhardt spricht von der „transistorischen Landschaft" (1994).

Vom Rhein zur Ruhr

So könnte es beispielsweise sein, daß Sie dem noch schwer verdaulichen Reiz des Ruhrgebiets anheimfallen. Ein Landstrich, der bis vor kurzem als Inbegriff häßlicher Gegend galt. Alle vertrauten Elemente schöner Landschaft fehlen im Bild, das wir vom Ruhrgebiet haben, die gewundenen Bachläufe, die lieblichen Hügel, die natürlichen Baumgruppen usf. - Keine aufregende Naturlandschaft, keine nette Kulturlandschaft aus vergangenen Zeiten, sondern Industrielandschaft mit unübersehbaren Spuren vielfacher Überformung, Verfügung, ja Verwüstung. Beileibe kein Stück abgeschlossene Vergangenheit, der Steinkohleabbau ist noch im Gange, die Kokereien arbeiten noch, die Hochöfen glühen noch. Aber eben „noch", das Ende dieser Ära ist längst angebrochen. Die Gegenwart hat keine große Zukunft mehr, sie beginnt, Vergangenheit zu werden.

In dieser Situation fangen wir an, das Ruhrgebiet als Landschaft zu entdecken. Der wirtschaftliche Niedergang berührt uns dabei nur am Rande, wir kommen als Fremde in die Gegend, sind nur von dem belastet, was das Image vom fehlenden blauen Himmel über der Ruhr für ein Bild bei uns geprägt hat. Dieses Bild hinter uns und den Blick unbelastet schweifen zu lassen, ist beileibe nicht einfach. Es ist jedoch zu konstatieren, daß ein Prozeß im Gange ist, der einerseits unser Landschaftsideal verändert und andererseits unser Bild vom Ruhrgebiet wandelt. Die als häßlich abgestempelte Ruhrregion wird nun als Landschaft akzeptabel.

Was hier abläuft, ist nicht nur für das Ruhrgebiet interessant, sondern als Beispiel für die gegenwärtige Entdeckung von Stadt- und Industrielandschaft zu verstehen. Das ästhetische Auge verweilt auf dem realen Anblick des Ruhrgebiets und bemerkt visuelle Qualitäten in der Häßlichkeit, die vorher nicht zutagegetreten sind bzw. nicht in gleicher Weise aufgefaßt wurde. Die Geschichte der Entdeckung der Landschaft gibt eine Fülle vpn Beispielen, wie eine solche Wandlung vor sich geht: durch raum-zeitliche Distanz (bäuerliche Kulturlandschaft), durch reale Veränderung der Gegend (Landschaftsgarten, Wiener Gegenden), durch Vergleich mit vertrauten Formen (Amphitheater), durch Ähnlichkeit mit anderen schönen Landschaften (Schweizen), durch Identifikation mit einem geistigen Ideal (Italien als Land der Klassik), durch literarische oder malerische Vorbilder (Lake District).

Und heute? Es ist erst noch zu untersuchen, was hier eigentlich passiert. Die akutellen Prozesse sind zu verfolgen und zu analysieren, um Vergleiche zu ziehen, Unterschiede zur Entdeckung anderer Gegenden bzw. zu anderen Phasen des Entdeckungsprozesses herauszuarbeiten. In Deutschland sind neben dem Ruhrgebiet die großflächigen Braunkohleabbaugebiete in der Lausitz und die Industrieregion Halle-Bitterfeld die hervorragensten Beispiele, an denen die Dynamik der Idee der Landschaft aktuell studiert werden kann.

Zur Zukunft der ästhetischen LandschaftWie in der Vergangenheit spielen Geschriebenes und Reiselust eine große Rolle. Neu in der Geschichte der Entdeckung von Landschaften aber ist die staatlich-politische Absicht, die aus wirtschaftlichen Gründen einen Strukturwandel initiieren muß und dabei neue Wege geht. Unter dem Titel „Internationale Bauausstellung" versucht sie durch umfangreiche Programme und Fördermittel den Dreck der industriellen Vergangenheit in Gold zu verwandeln. Eine solche Alchemie kann freilich nicht durch staatliche Intervention erreicht werden, sie scheint vielmehr zu einem ästhetischen, kultur- und ideengeschichtlichen Prozeß zu passen, den sie aufgreift und befördert.

Die Überwindung der Ländlichkeit als festgefahrener Seherwartung von Natur eröffnet noch unausgeschöpfte Potentiale des landschaftlichen Blicks. Gegenwärtig läßt sich die Entdeckung von Stadt und Industrie als Natur beobachten. Was einmal das Gegenteil von Landschaft schien, etwa die Stätten der kapitalistischen Produktion, hat gute Chancen, mit landschaftlichen Augen und sogar als attraktiv entdeckt zu werden - vor allem wenn es vom industriellen Fortschritt gerade überholt worden ist wie eben das Ruhrgebiet.

Einer innovativen Landschaftsplanung steht es offen, sich der außerordentlichen Wandelbarkeit, die das Phänomen in der Vergangenheit bewiesen hat, zu erinneren und sich ihre Dynamik zu vergegenwärtigen. Die Tradition der Landschaft ist keineswegs die eines konservativen Blicks, sondern die der Erneuerung eingeschliffener Sehgewohnheiten oder umgekehrt der Erschließung neuer Gegenstände für den landschaftlichen Blick. Es gilt Landschaft als kreatives Feld wiederzuentdecken!

Literatur

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Siedentop, I. 1984: Die Schweizen - eine fremdenverkehrsgeographische Dokumentation. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 28, H. 2, S. 126-130

Trüper, H. 1928: Die norddeutsche Landschaft in der Kunst. Ihr Bild und ihre Seele. Hannover

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