7. Jg., Heft 1 (September 2002)

  Urban Bodies
     

Redaktion:

  Claus Dreyer und Eduard Führ
in Zusammenarbeit mit Gunter Gebauer und Frank Werner
    Die Beiträge sind Ergebnisse einer Konferenz,
die anlässlich des 10. Internationalen Kongresses
der Deutschen Gesellschaft für Semiotik
vom 19.-21. Juli 2002 in Kassel stattfand.
     

Fragestellung:

     
Claus Dreyer
Eduard Führ
Gunter Gebauer
Frank Werner
 

Das Verhältnis zwischen menschlichem Körper und Architektur ist von Vitruv bis zu Le Corbusier immer ein elementares Thema der theoretischen Auseinandersetzung gewesen: in der Proportionsfigur, im menschlichen Maßstab, im Modell eines Organismus oder in der Vorstellung einer dritten Haut oder eines zweiten Kleides, in der Bestimmung als  Zentrum der sinnlichen Wahrnehmung und der praktischen Aneignung oder gar als ästhetische und kulturelle Norm – die gegenseitigen Verweisungen zwischen Körper und Architektur sind ebenso vielfältiger Art wie die daraus entwickelten Schlussfolgerungen.
 

Der leibliche Körper des Menschen hat sich in seinem Verhältnis zu Architektur und Stadt geformt und verändert: Gestik, Mimik, Habitus, Sozialverhalten und Denkformen reagieren auf die gebaute und gestaltete Umwelt und werden durch sie mitgeprägt. Der materielle Körper der Stadt und der Gebäude ist dagegen schon immer als Verkörperung von Ideen, Bildern und Utopien angesehen worden, und die Moderne hat besonders die Entsprechung der architektonischen Formen zu den physiologischen, ergonomischen und motorischen Funktionen des menschlichen Verhaltens herauszustellen versucht. Im historischen Prozess entsteht aus diesen Bezügen ein Wechselverhältnis, das in immer neuen Ausprägungen mit dem jeweiligen zivilisatorischen und kulturellen Stand einer Epoche korrespondiert.
 

Wenn man heute beobachtet, dass sich die sozialen und kulturellen Milieus dramatisch verändern, vielleicht sogar auseinander brechen, kann man auch eine Zerstückelung und Fragmentierung des architektonischen Körpers feststellen. Die körperliche Aneignung der Stadt durch unterschiedliche Benutzertypen führt zu diversen Ausdifferenzierungen des Stadtkörpers, die einander überlagern, ohne noch zu einem Ganzen zu verschmelzen: der klassische Flaneur oder Zuschauer interagiert mit der Stadt ganz anders als der Yuppie oder der Penner, der Jogger oder der Skater, die Prostituierte oder der Polizist, der Rentner oder das Schulkind. Diese Fragmentierungen finden sowohl materielle Entsprechungen, wie auch unterschiedliche "mentale Karten" oder mythische und utopische Überhöhungen (im Sport, im Film oder in der Werbung). In diesem Zusammenhang wird von einer "Californisierung" der europäischen Städte gesprochen, die sich in der Inszenierung von sportlichen Großveranstaltungen ("Stadtmarathon") ebenso zeigt wie in den zahlreichen Festivals, Performances und Shows, mit denen der Stadtkörper belebt werden soll.

Es ist offensichtlich, dass es nicht nur regionale Besonderheiten im Wechselverhältnis zwischen dem leiblichen und dem architektonischen Körper gibt (Nord-Süd-Gefälle oder Ost-West-Gegensatz), sondern auch geo- und ethnografische Differenzen, die besonders in den außereuropäischen Kulturen zu untersuchen und daraufhin zu befragen wären, wie weit diese Differenzen im Prozess der Globalisierung verschwinden oder sich transformieren. Es könnte sein, dass die "Californisierung" der europäischen Städte ein letztes Aufbegehren gegen die schleichende "Entkörperung" ist, die mit der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung des urbanen Körpers verbunden ist. Die digitalen Netze bilden eigene urbane Strukturen aus, deren artifizielle Sinnlichkeit eine neuartige leibliche Entsprechung erfordert, die mit dem Begriff des "Surfers" bisher nur undeutlich metaphorisch erfasst wird. Einige dieser Aspekte sollen in den Beiträgen zu diesem Heft genauer analysiert und interpretiert werden.

 

abstracts:

   
     

Einleitung

     

___Claus Dreyer
Detmold

 
Urban Bodies – Ein Problemaufriss

Wenn man heute beobachtet, dass sich die sozialen und kulturellen Milieus  dramatisch verändern, vielleicht sogar auseinander brechen, kann man auch eine Zerstückelung und Fragmentierung des architektonischen Körpers feststellen. Die körperliche Aneignung der Stadt durch unterschiedliche Benutzertypen führt zu diversen Ausdifferenzierungen des Stadtkörpers, die einander überlagern, ohne noch zu einem Ganzen zu verschmelzen.
In diesem Zusammenhang wird von einer "Californisierung" der europäischen Städte gesprochen, die sich in der Inszenierung von sportlichen Großveranstaltungen ("Stadtmarathon") ebenso zeigt wie in den zahlreichen Festivals, Performances und Shows, mit denen der Stadtkörper belebt werden soll. Es könnte sein, dass die "Californisierung" der europäischen Städte ein letztes Aufbegehren gegen die schleichende "Entkörperung" ist, die mit der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung des urbanen Körpers verbunden ist.

     
     

Körperkonzepte

     

___Jürgen Hasse
Frankfurt am Main

 

Changierende StadtLeiber

Der wissenschaftliche Diskurs über die Zukunft unserer Städte hat ein anthropologisches Leck. Terminologische Begriffssysteme bilden einen abstrakten Denk-Raum. Ihm steht der „gelebte Raum“ der Stadt (Dürckheim) gegenüber. Aus der Kritik am mainstream der aktuellen Stadtforschung wird gegen die Reduktionismen eines rationalistischen Menschenbildes die Perspektive der Leiblichkeit als theoretischer Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Sicht von Stadt und Stadtentwicklung entfaltet. Ziel ist die Begründung einer strukturell erweiterten intellektuellen Kritik der Stadt. Diese hat ihre Ausgangspositionen in einem Stadt-Denken, das mit den leiblichen Orten vitalen Lebens (in) der Stadt verknüpft ist. Mit Erwin Straus argumentiert, nimmt Kritik nicht nur im Gnostischen (dem Gegenstandsbezogenen der Wahrnehmung) ihren Ausgang, sondern  auch im Pathischen (im Vollzug der Wahrnehmung und den damit verbundenen Gefühlen). Der kritische Diskurs erhält so eine transversale Dimension; der denkende wird mit dem fühlenden / empfindenden Menschen verbunden. Das Politische entzündet sich damit im situativen Befinden an konkreten Orten, und nicht im abstraktionistischen Reich denotativer Signifikanten.

     

___Jürgen Mick
Augsburg

 
Körper und urbane Identität

Sieht man den öffentlichen Raum unter dem Aspekt der materiellen Bewegung, erschließen sich die Gestalt und die Dimension des öffentlichen Raumes als körperlich geprägte Form. Der öffentliche Raum, den wir mit unseren Körpern durchschreiten müssen, ist der Kitt unserer Städte, und er unterliegt den Veränderungen unseres sozialen Lebens, in dem Maße, wie diese sich körperlich vollziehen.
Der Beitrag soll zeigen, dass das Körperverständnis der Moderne und allein die Tatsache, dass unsere Städte materiell von unseren Körpern geprägt werden, Schlüsse zulassen in Bezug auf unser heutiges Verhältnis zum urbanen Raum. Die Suche nach der neuen Identität unserer Städte führt über unseren Körper. Die Stadt nämlich, so lautet die These, spiegelt unser Verhältnis zu unserem Körperbewusstsein wider.

     

___Thorsten
Bürklin

Karlsruhe

 
Das Bild des Körpers.
Vom Vergessen des Körpers im Raum

Während Hochglanzbroschüren – meist menschenleere – Schmuckkästchen preisen, bleibt der Körper – unabtrennbares alter ego des betrachtenden Geistes – in der Regel außer Betracht. Dabei stand er in wenigen Momenten der modernen Architekturbetrachtung oder -theorie wirklich im Mittelpunkt des Interesses der Bauenden, der Kritiker und deren Publikum. Die Vorherrschaft des Bildes verdrängt das konkrete Faktum Körper. Gleichermaßen verschwindet hinter dem Bild des architektonischen Raumes der konkrete Raum selbst. Der Körper jedoch – mit all seinen Sinnen – dient als motorisches und geistiges Instrument, dessen räumliches Erleben beschrieben werden kann, und das letzten Endes – eingestandenermaßen oder nicht – ein entwurfsrelevantes Moment für diejenigen Räume ist, die alltäglich beim Wohnen, Arbeiten oder während der Freizeit genutzt werden. Das vordergründig langweilige Alltagserlebnis mag daher von größerer Bedeutung sein, als ihm in der Regel zugestanden wird.

     

___Jörg
Gleiter

Berlin

 
Vom speechact zum sketchact
Architektur als "Technik des Körpers"

Die Ereignisse um das World Trade Center haben die Architektur erneut als Ort der Verschränkung der Objekthaftigkeit der Stadt mit der Leiblichkeit ihrer Bewohner sichtbar gemacht, im digitalen Taumel ihrer Medialisierung, aber auch als Umschlagpunkt der Dominanz der Bilder in die Prävalenz des Körpers oder der "Lust am Text" (R. Barthes) in die "Erschütterung der Leiblichkeit" (S. Freud).
Mit der Medialisierung stellt sich die Frage nach der Resemiologisierung der Architektur als einer "Technik des Körpers" und "Ursprungsraum" des "imaginären Gewebes des Wirklichen" (M. Merleau-Ponty). Ihr entspricht heute die Rücknahme traditionell-imaginativer zu Gunsten performativer Impulse.
Jenseits der "frivolen" Zeichen der Postmoderne (M. Tafuri), jenseits auch der Reduktion auf das rein Phänomenologische, stellt sich die Frage nach der semiologischen Reformulierung der Architektur heute weniger im Kontext der klassischen Semiotik als im Übergang der Performativität des "speechact" (J. Austin) der Sprechakttheorie zum "sketchact" (H. Bredekamp) architektonisch-performativer Praxis.

     
     

Körperliche Praxen

     

___Bernhard
Boschert

Berlin

 
Die Stadt als Spiel-Raum –
Zur Versportlichung urbaner Räume

Der Beitrag beschäftigt sich mit den neuen urbanen Formen des Freizeit-Sports. Diese fallen u.a. dadurch auf, dass sie mit der Eroberung und Neucodierung städtischer Räume und Plätze verbunden sind. Ob Inline-Skater, Skateboarder, Beachvolleyballer, Streetballer oder Mountainbiker, nicht mehr die Spezialräume des Sports wie Turnhalle und Sportplätze stehen bei ihnen im Mittelpunkt, sondern die Stadt selbst wird als Bewegungs-Raum und sportives Handlungsfeld für alternative Spiel- und Sportformen entdeckt und durch spezifische Bewegungspraxen als ein eigener Bedeutungs-Raum konstituiert. In diesen neuen sozialen Gebrauchsweisen urbaner Räume und Plätze scheinen verschiedene Gruppen, Szenen und Milieus ihre Selbst- und Weltbilder buchstäblich aufzuführen und ihnen eine körperliche Gestalt zu geben. In performativen Praxen machen sich die Akteure gleichsam für sich und andere sinnlich erkennbar, wobei die neuen Bewegungs- und sportiven Ausdrucksformen wiederum als Indikator für gesellschaftliche Veränderungsprozesse bzw. als deren spielerische Erprobung und Auslotung gelesen werden können.

     

___Angelika
Jäkel

Karlsruhe

 

Stoffe, Schnitte, Nähte
Zur Wahrnehmung von Architektur durch Kleidung

Der Erfahrung und Beschreibung von Architektur als gebauter Hülle der menschlichen Leiblichkeit geht die Erfahrung des Begrenztwerdens durch Kleidung im Sinne einer Urerfahrung des In-Seins voraus.
In der Thematisierung von Bekleidung in der Architektur hat, ausgehend von Semper, lange die ungleichgewichtige Beziehung zwischen (tragender) Struktur und (schmückender) Hülle den Diskurs bestimmt. Vernachlässigt wurden dabei die Dimensionen des Zwischenraums zwischen dem Körper und seiner Hülle, ebenso zwischen (gehülltem) Körper und dem Gegenüber – als Raum ebenso wie als Körper. Der Rede über, dem Empfinden in und der  Gestimmtheit durch Kleidung ist im Hinblick auf eine phänomeno­logische Konstitution des architektonischen Raumes nachzu­gehen: Parallelen zwischen Architektur und Kleidung in den Stoffen der Atmosphären, den Schnitten der Form und schließlich den Nähten der Gemachtheit zeigen mögliche Übertragungen auf. Im experimentellen Entwurf werden sinnlich-körperliche Eigenschaften von Architektur neu erfunden: Wie schwingt mattes Weiß? Kann weiches Braun gleichzeitig dumpf und glatt sein? Was nennt man und wie macht man "Bewegtheit"?

     
     

Urbane Verkörperung

     

___Ulrike Gerhard
Würzburg
___
Ingo Warnke
Kassel

 

Gegenstand des Beitrags sind moderne Städte, die als nahezu „künstliche“ Gebilde aufgefasst werden können, Städte ohne organische Strukturen, also ohne erkennbare Wachstumsprozesse. In diesen komplett geplanten urbanen Reißbrettgebilden drücken sich zeittypische Wertvorstellungen der Gesellschaft und des Einzelnen zeichenhaft aus.
Der Trend zum vollständig geplanten Stadtkörper ist insbesondere für die jüngere Stadtentwicklung in den USA unübersehbar. Am Beispiel der Metropolregion Washington, D.C. wird dargelegt, wie sich das Raum- bzw. Körperkonzept der suburbanen Stadt des 20. Jahrhunderts von der Gartenstadtidee (Greenbelt, Md) über das New-Town-Konzept (Colombia, Md) bis hin zum New Urbanism (Kentland, Md) gewandelt hat.

Aus stadtgeografischer und linguistisch-zeichentheoretischer Perspektive wird somit die Konstituierung des semiotischen Konstrukts ‚urban body’ reflektiert. Die Kategorien der Analyse resultieren aus der Zeichenkonzeption von Peirce, die als dynamische Semiotik eine differenzierte Einordnung gegenwärtiger Stadtentwicklungen in Nordamerika wie auch andernorts ermöglicht.

     

___Silke Kapp
Minas Gerais, Brasilien

 
Abenteuer der Körper in ungemütlichen Städten

Die brasilianische Kultur ist bekannt für relative Freiheit in Bezug auf den menschlichen Körper. Vom Karneval bis zum Fußball werden Körper bewegt, belebt, zur Schau gestellt. Diese Einstellung ist parallel zu einer Lebensweise, in der Außenraum immer wichtiger war als Innenraum, und daher auch die Stadt, wichtiger als die eigenen vier Wände. Was geschieht, wenn solche Gewohnheiten durch soziale Gewalt verändert werden? Wenn bestimmte Gruppen sich ins Shopping Center, Auto, Hochhaus oder isolierte und bewachte Viertel zurück ziehen, und wenn andere Gruppen aus dem älteren Stadtraum gleichsam ein Jagdrevier machen? Einerseits wird ein Kult des Komforts und der 'Gemütlichkeit' eingeführt, der zunächst ganz fremd ist und überwiegend stereotype Räume bzw. Verhalten produziert. Andererseits wird die Stadt zur Bühne neuer Aneignungen, zum Träger neuer Zeichen. Auf den ersten Blick mag man diese Entwicklung nur negativ werten, nur als Ausdruck der Gewalt selbst. Aber kritisch besehen, ist sie keineswegs so einseitig.

     

___Peter
Gotsch

Karlsruhe

 

Imagine-a-city: die Stadt der Bilder und die Bilder der Stadt
Zur
Relevanz der Raumkonzepte von Kevin Lynch, Maurice Merleau-Ponty und Henri Lefèbvre für das Bild der informationellen Stadt

Diese Arbeit lässt sich als ein Versuch zur Wieder-Vorstellbarkeit des Räumlichen umschreiben. Sie untersucht den Stellenwert der räumlichen Wahrnehmung für ein neues Verständnis (Bild) der Stadt im Kontext des Informationszeitalters. Als Antwort auf eine allgemeine Orientierungslosigkeit bezüglich der Räume, in denen wir leben, - die Räume einer zeitgenössischen Stadt -, entfaltet sich das Konzept des imagine-a-city, einer vorgestellten Stadt.

     
     

Geschichtliche Analysen des Zusammenhangs von Architektur und Körperlichkeit

     

___Oxana Makhneva
Yekaterinburg

 
Der Ledoux´sche Stil der körperlichen Identifikation

Der französische Architekt des 18. Jahrhunderts, Claude-Nicolas Ledoux, hat die Architektur dem Menschen gleichgesetzt, wobei er die Architektur als in Stein verkörperte soziale Beziehungen sieht. Wenn Ledoux über Architektur spricht, dann spricht er über den Menschen, über dessen seelische Bewegungen, die die Architektur bedingen und selbst aus ihr abgeleitet sind. Er vergleicht eine feine Ordnung mit den Falten eines Frauengewandes. Die Beschreibung des Dekors geht harmonisch in die Beschreibung der Tugenden einer inspirierenden Muse über, die gleichsam das Leben ziert.

     
     

Diskussion semiotischer Fragen

     

___Alexander
 
Barabanov

Yekaterinburg

 
Mensch und Architektur:
Beziehungssemantik

Mit der Stadt als Phänomen der Architektur haben sich viele Wissenschaftler befasst; sie haben versucht, deren semantische Natur zu entdecken. Bekannt geworden sind Vergleiche der Stadt mit Rede, Sprache, steinerner Chronik, Theater usw.
Die Gesellschaft materialisiert sich im architektonisch-räumlichen Umfeld und hinterlässt ihre anthropomorphen Spuren, indem sie direkte und indirekte Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt, zwischen menschlichen Vorstellungen, Absichten, Körpern, dem menschlichen Organismus selbst und dem architektonisch-räumlichen Umfeld reflektiert, das mit Räumen und Formen gesättigt ist. Und genau diese Wechselbeziehungen zeigen sich in der Wechselwirkung von Bedeutendem und Angedeutetem.
An Hand von Beispielen aus der Architekturgeschichte vom antiken Ägypten und der Antike bis zur Gegenwart wird die der Formenbildung in Architektur und Städtebau zu Grunde liegende Semantik der Wechselwirkung und der gegenseitigen Beeinflussung des Menschen und seiner architektonischen und räumlichen Umwelt betrachtet.

     

___Michael Steigemann
Bielefeld

 
Zur Problematik der Körperlichkeit in der Architektur

Erkenntnistätigkeit manifestiert sich in Zeichen. Ein Problem wird skizziert, die Skizze bildet das Problem ab. Peirce nennt die Skizze allgemein ein Diagramm. Das Denken mittels der Konstruktion von Diagrammen ist ein Vorgehen, das als Muster zu sehen ist für alles Denken, kreatives Denken inbegriffen. Das Überwinden der Krise der Kunst und der Architektur im 19. Jahrhundert stellt einen einzigartigen Vorgang dar, der sich als ein Arbeiten am Diagramm entfalten lässt. Die Moderne findet ihre Identität, indem sie das Erbe zurückweist und eine radikale Neuinterpretation von Komposition und Raumauffassung evoziert. Das Erscheinen der sich selbst erfahrenden Subjektivität und das Ablegen des Gegenständlichen treten als Bewusstsein hervor. Die Diagramme zeigen, dass die Moderne in Begriffen, in Konstruktionen denkt, die in der Architektur zu der Möglichkeit einer Entkörperung der klassischen Raumbildung führen.

     

___Yekaterina
 Barabanova

Yekaterinburg

 
Irdischer Körper
im „Wolkenkuckucksheim“

Die unterschiedlichen Proportionen des menschlichen Körpers sind das, was die Menschen so unverwechselbar macht. Mit einem Vergleich seiner Körperteile, mit einer Gegenüberstellung seiner Körpermaße zu den verschiedenen Gegenständen der Umwelt nimmt der Mensch diese Verhältnisse zur Grundlage für die Schaffung einer neuen Schutzhülle – der Architektur. Diese Hülle schirmt den Menschen von übermächtigen Naturgewalten ab und schafft ein ganz besonderes Medium – einen Raum, der sich dem Menschen unterordnet, und der dem menschlichen Körper angemessen ist.
Die grobe körperliche Fläche der Wand einer romanischen Kirche verfeinert sich allmählich, bedeckt sich mit dem filigranen Muster der Strebepfeiler und wird zur Gotik; das Licht der Glasmalereien ersetzt einen Teil der Wand; gemeißelter Stein wird zur Sprache des Feuers der flammenden Gotik, und es hat den Anschein, dass eine Mauer nicht aus Stein gefügt ist, sondern aus Licht – das ist eines der deutlichsten Beispiele für die Evolution des Architekturstils. Die Mauer verschwindet allmählich: die grobe Steinhülle wird von einer Lichthülle abgelöst.
Die wissenschaftlich-technische Revolution gibt dem Architekten neue Materialien und neue Technologien in die Hand. Dadurch lassen sich die ungewöhnlichsten Gedanken verwirklichen.

     

Die Redaktion behält sich alle Rechte, einschließlich der Übersetzung und der fotomechanischen Wiedergabe vor. Auszugsweiser Nachdruck mit Quellenangabe
(Wolkenkuckucksheim, Cloud-Cuckoo-Land, Vozdushnyi Zamok >/theoriederarchitektur/Wolke/)
ist gestattet, sofern die Redaktion davon informiert wird.

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