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Himmel und Erde
Festschrift für Karsten Harries |
12. Jg., Heft 1
August 2007
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Konzeption und Redaktion: |
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Eduard
Führ |
Organisation,
Lektorat und Layout: |
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Ehrengard Heinzig
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Karsten Harries |
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Biographie
"The
Bavarian Rococo Church
– Between Faith and Aestheticism"
New Haven, 1983 (Yale University Press New Haven
and London)
aus dem "Digitalen Archiv von Texten und Schriften zur Theorie und
Geschichte der Architektur (D.A.T.A.)"
digitalisiert mit freundlicher Genehmigung von Yale University Press
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Editorial |
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Karsten Harries'
Theorie der
Architektur |
Ludger Schwarte |
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Architektur, das Ereignis
der Repräsentation.
Zu Karsten Harries' Architekturphilosophie |
Achim Hahn |
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Dimensionen der
Einbildungskraft (für Karsten Harries) |
David Kolb |
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Ränder und Zentren in einem Zeitalter der Mobilität |
David Seamon
& Enku Mulugeta Assefa |
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Karsten
Harries’ natürliche Symbole als Mittel für die
Architekturinterpretation: Innen und Außen im Fallingwater
von Frank Lloyd Wright und in der Villa Mairea von Alvar
Aalto |
James McQuillan |
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Karsten Harries: Jenseits der Not
– Eine Architektur der Liebe |
Hagi Kenaan |
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Die
verborgene Oberfläche des Grundes |
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Architekturtheorie |
Gunter Dittmar |
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Die
(endlose) Frage der Architektur
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Robert Alan Hahn |
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Heidegger, Anaximander und der Griechische Tempel |
David Summers |
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Horizonte oder Unendlichkeiten ohne Ende |
Eduard Führ |
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Feld und Welt.
Zur Phänomenalität des Phänomens
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David Leatherbarrow |
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Architektur, Ökologie und Ethik |
Dalibor Vesely |
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Von
der Typologie zur Hermeneutik im Architekturentwurf
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Mohammad Reza Shirazi |
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Von
Raum und Sprache |
Burkhard Biella |
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"Thierischer als jedes Thier"
– Ein Versuch
über Himmel und Erde, Architektur, Utopie und Terror in zwölf
Schritten |
Heidi Helmhold |
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"Invisible Houses"
– Zwei
künstlerische Positionen |
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Psychologische und mentale Aspekte der Architekturtheorie |
Harald Deinsberger |
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Wohnen und Wohnbaustrukturen im Spannungsfeld zwischen Intro- und
Extraversion |
David Greusel
& Eric
Jacobsen
& Michael Metzger |
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Architektur als moralische Kunst:
Eine Betrachtung der moralischen Dimensionen der Architektur |
Christian Holl |
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Illusion der Reinheit |
Kenneth Frampton |
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Andeutungen von Taktilität
Auszüge aus einer fragmentarischen Polemik |
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Landschaft und Erde |
Rolf Kühn |
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Erde und Landschaft
– in radikal
phänomenologischer Sicht |
Hans Friesen |
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Entwicklung und
Verhältnis von Stadt und Land in Europa
–
Eine kulturphilosophische Betrachtung der beiden Lebensräume des
Menschen |
Arie D. Graafland |
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Die Komposition des Gartens und die
Choreographie des Körpers |
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Zeit und Architekturgeschichte |
Juhani Pallasmaa |
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Der Raum der Zeit – Mentale Zeit in
der Architektur |
Thomas DaCosta Kaufmann |
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Die amerikanische Stimme. Deutsche
Kunst- und Architekturhistoriker im Exil in den Vereinigten
Staaten |
Joseph Rykwert |
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Zum
High-Tech-Stil |
Katharina Fleischmann |
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Botschaften mit Botschaften?! Staatsrepräsentation per
Architektur am Beispiel der indischen Botschaft Berlin |
Diana Soeiro |
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Zum Raum
gehören – Leben im architektonischen Raum |
Andreas Degkwitz |
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Closing the Gap
between Cultures –
Das Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum Cottbus (IKMZ) |
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Himmel und Erde |
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Karsten Harries
"South Shore", Kreide auf Papier |
"Langhorne Pavillion"
Entwurf: Edward F. Knowles |
abstracts: |
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Karsten Harries –
Philosoph und Architekturtheoretiker |
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___Ludger Schwarte
Basel |
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Karsten Harries
fordert eine Architektur, die nicht selbst Fest ist, sondern
Einladung zum Fest, Gelegenheit zur sinnlichen Vereinigung der
Gegensätze, Schauplatz der Vergegenwärtigung einer idealen
Gemeinschaft. Damit hat er zur Vorbereitung architektonischer
Ereignisse selbst einen visionären Beitrag geleistet.
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Artikel in
Deutsch |
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___Achim Hahn
Dresden |
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Mein Thema war die Einbildungskraft,
Imagination oder Phantasie. Sie gehört zu den menschlichen
Grundvermögen. Wie sie innerhalb der Architekturtheorie fruchtbar
gemacht werden kann, dies habe ich eher als eine Aufgabe zu
formulieren versucht, als es schon zeigen können. Bei der uns heute
geläufigen Rede vom „Entwerfen in Bildern“ scheint es mir
angebracht, diese Frage zunächst hinsichtlich ihrer angemessenen
Tiefe und Fruchtbarkeit zu stellen, um sie gleich richtig in den
Blick zu nehmen. Karsten Harries ist diesen Weg gegangen. Die
Architekturtheorie ist seit den Tagen des Vitruv weiterhin
angewiesen auf die großen und bleibenden Erkenntnisse der
Philosophie, der Ethik, der Ästhetik und der Metaphysik.
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Artikel in Deutsch |
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___David
Kolb Eugene, Oregon |
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Eine Stadtentwicklung ohne Stadtmitte substituiert den früheren
Gegensatz von Großstädten und Kleinstädten. An einigen Orten zieht
sich die Entwicklung zusammen in Randstädte, an anderen breitet sie
sich aus. Die ökonomischen, sozialen und politischen Schwierigkeiten
sind gut bekannt, und während der Sprawl in den USA durch besondere
Anreize und Subventionen gefördert wurde, ist er in anderen
regulatorischen und Übergangsregimen zu einer internationalen
Voraussetzung geworden. Für viele ist er ein typisches Beispiel für
die moderne und postmoderne „Ortlosigkeit“. Als Antwort auf den
formlosen Sprawl drängen viele Theoretiker auf die Schaffung
resistenter Orte. In meinem Beitrag stelle ich zwei solche
Strategien gegenüber und kritisiere sie – die bounded enclaves
von Kenneth Frampton und die centered communities von Karsten
Harries. Kann diesen Vorschlägen Erfolg
beschieden sein in einer gemischten pluralistischen Welt mobiler
Menschen und gleichermaßen mobiler Stile und Bereiche? |
Artikel in Englisch |
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___David Seamon
& Enku Mulugeta Assefa
Manhattan, Kansas USA |
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Dieser Beitrag
betrachtet zwei generative Häuser des 20. Jahrhunderts –
Fallingwater von Frank Lloyd Wright und die Villa Mairea von Alvar
Aalto –, um das natürliche Symbol von Innen und Außen zu
untersuchen, das für Karsten Harries (1988, 1993, 1997) eine
wichtige gelebte Beziehung darstellt, die Architektur und Ort
aufrecht erhält. „[Z]u meinen, da sei nichts, das über menschliche
Wesen hinausgeht und ihnen sagt, dass die Realität selbst stumm und
bedeutungslos ist, bedeutet Nihilismus. Wenn es denn eine
Alternative zum Nihilismus geben soll, muss es möglich sein, einen
Sinn daraus zu machen, auf die Sprache der Dinge zu hören.“ Karsten
Harries (1997, S. 133)
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Artikel in
Englisch |
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___James
McQuillan
Gaborone, Botswana |
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Karsten Harries hat geschrieben, dass
Heidegger 1951 versucht hatte, hinter das Problem der
Obdachlosigkeit zu sehen, und dennoch wiederholt Harries, dass sich
die Situation nun geändert hätte. Diese Transformation hat mehrere
bemerkenswerte Aspekte, aber der Aspekt, zu dem sich Harries nicht
geäußert hat, ist der der Liebe. Wenn man ein modernes Werk der
Architektur erschließt, fehlt die Frage nach Schönheit und Liebe, so
als ob unsere Zeitgenossen solche Konzepte nie gekannt hätten; und
wenn sie sie schon kennen, dann fühlen sie sich veranlasst, sie zu
ignorieren.
Aber die Kompassnadel dreht sich, und in den jüngsten Arbeiten aus
den Händen von de Botton und Pérez-Gomez gibt es Anzeichen, dass
sich ihre Perspektiven erweitern. Beide zelebrieren das Konzept der
Liebe in der Architektur – dass Architektur nicht ausschließlich der
Ruf nach Versorgung mit Unterkunft ist, sondern tiefer gehend
Unterkunft. Ihre jüngsten Arbeiten fordern Antworten von uns allen
ein, und dieser Beitrag stellt eine solche Antwort dar.
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Artikel in
Englisch |
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___Hagi
Kenaan
Tel Aviv |
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„Philosophisches Arbeiten – ist wie die Arbeit
in der Architektur ...“ schreibt Wittgenstein, „tatsächlich eher ein
Arbeiten an sich selbst ... an den eigenen Sichtweisen auf die
Dinge.“ Dieser Beitrag teilt eine ähnliche Intuition. Er entstand
mit der Überzeugung, dass ein Verständnis der Natur des Visuellen
entscheidend für die Architekturtheorie ist. Als Antwort auf Karsten
Harries’ Ruf nach einem „neuen postpostmodernen Geozentrismus“
untersucht der Beitrag daher die Implikationen, die solch ein
Geozentrismus für unser Verständnis der Visualität unserer Welt
haben könnte. Der Autor vertritt den Standpunkt, dass der Erdboden
eine wesentliche Dimension des Visuellen ist, der sich zudem leicht
unserem Denken entzieht genau wegen seiner nicht-frontalen Art, in
der er unsere Blicke trifft. Darüber hinaus wird aufgezeigt, dass
der konkrete Grund, in dem der Mensch verwurzelt ist, eine
konstitutive Bedingung für die Möglichkeit des Visuellen darstellt.
Die Erdoberfläche unterstützt nicht nur die sichere Haltung der
Körper, sie markiert nicht nur die Stelle, bis zu der wir blicken
können, sondern sie ist eine konkrete Bedingung, die unser Sehen
möglich macht. Wenn wir die Bedeutung der visuellen Rolle des
Erdbodens anerkennen, ergeben sich eine Reihe neuer Fragen: Welche
Art von Zuschauen – von Blicken – wird gewollt durch die
einzigartige Visualität der Erdoberfläche? Wie kann ein
architektonisches Objekt seine eigene horizontale Projektion, seinen
Schatten bestätigen? Was würde es für die Architektur bedeuten, auf
die nicht-frontale Dimension des visuellen Raumes zu reagieren? Wie
kann die Architektur die verborgene Oberfläche des Grundes zu einem
Teil unserer Lebensart werden lassen? |
Artikel in Englisch |
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Architekturtheorie
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___Gunter
Dittmar
Minneapolis |
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Für viele Disziplinen ist es die Rolle einer Teildisziplin, der
Theorie, zu der tendiert wird, und die die disziplinäre Struktur des
Fachgebietes und die Wissensbasis voranbringt, durch die es sich
selbst und seine Identität als Fachgebiet definiert. In der
Architektur wäre es die Verantwortlichkeit der Wissenschaft,
insbesondere der Wissenschaftler in der Architekturtheorie, eine
solche Struktur zu untersuchen und ihre Entwicklung in Angriff zu
nehmen.
Aber eine solche Theorie in der Architektur gibt es nicht, es gibt
nur Theorien! Sie bestehen zumeist aus Spekulation, Manifesten oder
Kritik; die persönlichen Interpretationen oder Positionen zu
formalen Aspekten sind beeinflusst durch die derzeit vorherrschenden
Ideologien, durch kulturelle Probleme oder stilistische Besorgnisse.
Es gibt nur wenig, was über Zeit und Ort hinausgeht.
Und so bleibt die Frage der Architektur bestehen...
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Artikel in
Englisch |
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___Robert
Alan Hahn
Carbondale |
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Im Nachwort zu
“Der Ursprung des Kunstwerkes” fordert uns Heidegger auf, Hegels
Erklärung, dass Kunst nicht mehr zu unserer höchsten Berufung
gezählt werden kann, noch einmal zu reflektieren. Ist es für die
Kunst dennoch
möglich, als erforderliche und notwendige Art zu
funktionieren, in der die Wahrheit geschieht, die entscheidend für
unsere historische Existenz ist? Wenn die Kunst diese Wahrheit nicht
mehr vermitteln kann, verbleibt die Frage, warum das so ist.
Heidegger zufolge ist allerdings die Wahrheit in Hegels Urteil noch
nicht entschieden.
Es
gibt noch kein endgültiges Votum. Warum?
Weil “hinter
einem solchen Votum das abendländische Denken seit den Griechen
steht, welches Denken der Wahrheit der Geschöpfe entspricht, die
bereits geschehen ist”, wie Heidegger sagt. Folglich gibt es für
Heidegger noch Hoffnung in die Zukunft, weil es ein solches Ereignis
der Wahrheit in der Vergangenheit gegeben hat. Für Hegel war das
Ereignis der Wahrheit in der Vergangenheit nicht die höchste
Wahrheit des Daseins, sondern nur die höchste Wahrheit, die in jener
Phase der geschichtlichen Entwicklung verfügbar war. Und so gibt es
für Hegel im Gegensatz zu Heidegger keine Notwendigkeit, nach einer
Rückkehr in diesen philosophischen Garten Eden zu suchen, in diese
originelle und ursprüngliche Einigkeit. Für Heidegger, der nicht den
besonderen historischen Fortschritt gutheißt, den Hegel erkennt, ist
das Faktum der vorsokratischen Philosophie die Aussage zur höchsten
Wahrheit aller Zeiten, da es die Wahrheit des Daseins in all ihrer
verwirrenden Enthüllung ist. Weil es vor langer Zeit eine
ursprüngliche Einigkeit für die ersten der Frühkommenden gab, kann
es doch auch ein Wiederauflebenlassen für die letzten der
Spätkommenden geben. Wenn aber Heidegger in seinem Zurückführen auf
diese Einigkeit irrt, die für Anaximander to
xreon
bezeichnet wird (für Heraklith
alêtheia,
für Parmenides eon, usw.), scheint Heideggers Arbeit
zusammenzubrechen.
Das Fragment von Anaximander bezeugt die Vision des
Selbstregelungsmechanismus der Natur. Es gibt eine kosmische
Gerechtigkeit, die sich in den Naturzyklen zeigt. Die Gerechtigkeit
zeigt sich nicht als willkürliches oder kontingentes Faktum, sondern
als to
xreon,
als “Notwendigkeit” an sich. Menschliches Dasein und menschliche
Bedeutung finden in diesem Kontext ihren Platz. Wie wir hier
untersuchen, ist aber Anaximanders kosmische Vision nicht die
Selbstentfaltung des Daseins, eine Wahrheit, die im Menschen zum
Vorschein kommt. Die Wahrheit reicht für Anaximander nach außen, sie
verkündet die Ursprünge der Kosmologie, in der die Menschen zu
begreifen suchen, was absolut außen für uns ist, während sie
gleichzeitig unsere Fähigkeit bestätigt, dies zu tun. Anaximander
fordert uns auf, eine Vision der Selbstenthüllung des Daseins
zurückzuweisen und stattdessen das metaphysische Reale
anzunehmen, das außerhalb von einem ist.
So bringt Anaximander ein Beispiel für ein “Denken”, dem es
an “Geborgenheit” fehlt. Denn Anaximander demontiert das
Gewölbe des Universums, unter dem das “Dasein” sich sicher
und “geborgen” anfühlt. Sein Universum ist nicht mehr die
warme Hülle des himmlischen Deckmantels oder die Sicherheit der
Göttin, die sich über die Menschheit wölbt, sondern die
unergründliche Weite der kreisenden Himmelskörper, Räder von
kosmischem Feuer, die irgendwie von einem originelleren,
urspünglicheren Feuer getrennt sind. Der Kosmos ist kein Gewölbe und
nicht sphärisch, sondern zylindrisch, wobei er Zylinder innerhalb
von Zylindern enthält.
Der
Kosmos ist ein lebender, wachsender – vielleicht feuerspeiender –
Baum. Was
ergibt sich dann aus dem Überdenken Anaximanders und des
Griechischen Tempels für Heidegger?
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Artikel in Englisch |
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___David
Summers
Charlottesville |
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Im Vorwort zu Sein und Zeit fasst
Martin Heidegger das Ziel der Untersuchung zusammen, die er und der
Leser beginnen wollen – eine Untersuchung, die Heidegger selbst nie
zu Ende gebracht hat – als „die Interpretation von Zeit als
möglicher Horizont für jedwedes Verständnis von Sein“. Seine ersten
englischen Übersetzer, John Macquarrie und Edward Robinson, machen
den Englisch-sprachigen Leser in einer Anmerkung sofort darauf
aufmerksam, dass das Wort „Horizont“ für Heidegger Bedeutungen hat,
die ihnen ungewohnt vorkommen. „Wir neigen dazu“, schreiben sie,
„uns den Horizont als etwas vorzustellen, das wir erweitern,
ausdehnen oder überschreiten können; Heidegger indessen scheint ihn
sich vorzustellen als etwas, das wir weder erweitern noch
überschreiten können, das aber die Grenzen setzt für bestimmte
intellektuelle Aktivitäten, die sich ‚innerhalb’ von ihm abspielen.“
Die Zeit, so könnten wir Heidegger wiederholen, ist die eine
Bedingung – der Horizont – über die wir nicht hinaus gehen können,
unter der die Frage des Seins unvermeidbar und immer gestellt werden
muss.
Dieser Beitrag untersucht die intellektuellen und kunsthistorischen
Präzedenzfälle für diese modernen Auffassungen des Horizonts. |
Artikel in
Englisch |
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___Eduard Führ
Cottbus |
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Im Rückgriff auf
Wahrnehmungspsychologie und –physiologie geht der Autor der Frage
nach, was eigentlich die Phänomenalität von Architektur ist, wie sie
entsteht und worin sie besteht.
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Artikel in Deutsch |
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___David
Leatherbarrow
Philadelphia |
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In der modernen
Architektur konkurrieren zwei Vorstellungen unserer gemeinsamen Welt
miteinander. Die erste setzt voraus, dass uns die Stadt oder die
Stadtentwicklung präsentiert, was normal ist und allgemein für gut
befunden wird. Im krassen Gegensatz zu dieser Ansicht steht die
Auffassung, dass die Umwelt das ist, was wir alle teilen, dass die
natürliche Welt das gesamte Grundgerüst dessen ist, was alle
Menschen und Dinge miteinander gemein haben. Hinter diesen
Vorstellungen stehen zwei Interpretationen des menschlichen Seins;
in der ersten wird die Weltsicht gewöhnlich als Anthropozentrismus
(der den Mensch in den Mittelpunkt der Dinge stellt) bezeichnet, in
der zweiten als Biozentrismus (der den Menschen in einen Kontext zu
anderen Lebewesen stellt, so dass es hier keinen Mittelpunkt,
sondern eine breite Streuung gibt). Der Konflikt zwischen diesen
alternativen Vorstellungen nimmt eine institutionelle Form an im
Gegensatz zwischen individueller Erfahrung und wissenschaftlichem
Verständnis, und noch umfassender zwischen Subjektivität und
Objektivität. In der Architektur würde die entsprechende
Unterscheidung zwischen Kunst und Natur liegen, wobei erstere als
Domäne von Unberechenbarkeit und Originalität zu sehen ist, zweitere
als Domäne von Regelmäßigkeit oder Gesetzmäßigkeit.
Dennoch vermute ich, dass jeder, der dieser Alternative mehr als nur
einen kleinen Gedanken widmet, erkennen wird, dass diese Wahl nicht
die richtige ist – zumindest in unserem Gebiet. In Wirklichkeit kann
Architektur nicht entweder künstlich oder natürlich sein, weil jedes
Bauwerk notwendigerweise beides ist. Ich denke, aus diesem Grunde
sind wir gezwungen, nach Wegen zu suchen, die diese Wahl vermeiden,
zumindest sich davon nicht verwirren zu lassen, und Architektur
nicht darauf zu reduzieren, wie das streitbare Versionen des
Formalismus (Kunst um ihrer selbst willen) und Umweltbewusstseins so
oft tun. Der Alternative zu entkommen, ist jedoch nicht so einfach;
für ein Ausbalancieren sind diese beiden Ansichten alles andere als
klar. Zudem ist es nicht sofort offensichtlich, wie die
Manifestationen beider – der Stadt und der Natur – als Aspekte eines
Kontinuums bestehen können. |
Artikel in Englisch |
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___Dalibor
Vesely London |
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Das Interesse an
der Typologie als einer neuen Entwurfsstrategie war möglicherweise
eine der einflussreichsten Herausforderungen in der
Architekturentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. In einer
Situation, die hauptsächlich durch die beschränkte modernistische
Agenda geprägt war, die auf strukturellem und funktionellem
Determinismus basierte, erschien die Typologie als ein gesundes
Korrektiv zu der deterministischen Vision der architektonischen
Ordnung und darüber hinaus zu einem zunehmenden Relativismus der
Entwurfsprinzipien und –werte. Allerdings hat das neue, subtilere
und kritischere Denken schlussendlich nicht den naiven Objektivismus
der meisten modernen Trends verändert. Was hat die Typologie auf die
Bildfläche und zu solch relativer Beliebtheit gebracht?
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Artikel in Englisch |
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___M. Reza Shirazi
Cottbus |
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Zweifellos haben Martin Heideggers Gedanken
zur Architektur auf die Architekturtheorie in den letzten
Jahrzehnten eingewirkt, und sein Einfluss auf Architekten und die
Architekturtheorie beschränkt sich nicht auf die Phänomenologie,
sondern strahlt auch auf andere Richtungen aus, wie
Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus, aber auch „Folding
Architecture“ und virtuelle Architektur. Die Diskussion über die
architektonischen Grundzüge von Heideggers Gedanken basiert
allerdings zumeist auf „Bauen Wohnen Denken“ und konzentriert sich
auf seine Bezüge zum Griechischen Tempel in „Der Ursprung des
Kunstwerkes“ sowie auf seine Interpretationen solcher Begriffe wie
„Ding“, „Gruppe“ und „dichterisch“ in seinen Aufsätzen, die mit „Das
Ding“, „Die Sprache“ und „Dichterisch wohnet der Mensch“ betitelt
sind. In meinem Beitrag möchte ich auf seinen späten Aufsatz „Die
Kunst und der Raum“ eingehen und aufzeigen, wie er seine
einzigartige Vorstellung von Raum und Ort ausführt, indem er sich
auf frühere Gedanken und Besprechungen bezieht.
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Artikel in
Englisch |
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___Burkhard Biella Duisburg |
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Im Lichte
des Himmels bauen wir an und auf der Erde; dem Dunkel des Himmels
verdankt sich mancher Traum, der den Entwurf des Neuen, einer
besseren Welt auch, initiierte ebenso wie Visionen von Destruktion
und Vernichtung. Diese Zusammenhänge umkreist und durchkreuzt der
vorliegende Versuch, der vor allem die Utopie, um die es in Zeiten
der Spaßgesellschaft merklich still geworden ist, dem (politischen)
Denken als Korrektiv gegen inspirationslose und lobbyabhängige
Polittechnokratie wieder ans Herz legen will. Im Zentrum steht dabei
die Architektur, die – neben der
Literatur – als die
utopische Kunst schlechthin gelten kann, denn selbst das Gebaute
noch enthält ein „Stückchen Utopie“. |
Artikel in Deutsch |
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___Heidi Helmhold Köln |
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Karsten Harries
zeigte in The Ethical Function of Architecture, dass gebauter
Architektur – dem sichtbaren materialen Haus – das so genannte
Invisible House innewohnt. Phänomenologisch gesehen ist
das Invisible House der mentale Architekt von Form, Gestalt
und Ausstattung einer gebauten Architektur und damit Indikator für
das, was Martin Heidegger mit ‚Welthaftigkeit’ prominent als
Signatur für das ‚Schwarzwald’-Haus entwickelte.
Es interessierte mich, an zwei künstlerischen Positionen der
Gegenwartskunst die Eigendynamik von Invisible Houses zu
beschreiben: An der Himmelstreppe (Hassi Romi), die
der Münchner Künstler Hannsjörg Voth 1985-1988 in der marokkanischen
Mârhâ-Ebene baute, und an der 2007 auf der Shanghai-Biennale
gezeigten Rauminstallation Beyond My Chair von dem in
Shanghai lebenden Künstler Rolf Kluenter.
Im Projekt der Himmelstreppe erwies sich das Invisible
House als eine Art konstruktiver Störfaktor: Die künstlerische
Konzeption des Baues war der Vertikalität einer euklidischen
Präzisionsarchitektur verpflichtet. Das Leben in der Mârhâ-Ebene ist
jedoch notwendigerweise ein Leben in Zelten, den Black Tents der
Berber-Nomaden, denen der Glatte Raum (Deleuze/Gauttari) als
Invisible House eingeschrieben ist – nicht als
Präzisionsarchitekturen des gekerbten euklidischen Raumes, sondern
als Signatur von Sozialgestalt, Transformation und ‚Schwacher
Architektur’.
In der Rauminstallation Beyond My Chair ist das Invisible
House einer politischen Umbruchsituation der scheinbaren Idylle
eines Himalaya-Dorfes konzeptionell hinterblendet. Die konkrete
materiale Alltagsroutine einer traditionellen Kultur wird mit den
Insignien einer gestürzten Herrschaftskultur verschnitten und deutet
auf eine andere, wirksame Weise von glattem Raum, Transformation und
‚Schwacher Architektur’.
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Artikel in
Deutsch |
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Psychologische und mentale Aspekte der Architekturtheorie |
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___Harald Deinsberger
Graz |
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Der Mensch als wohnendes Individuum befindet sich in einem stetigen
Spannungsfeld zwischen Introversion und Extraversion,
d. h.
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zwischen dem Rückzug in die Intim- oder Privatsphäre
und der Öffnung nach außen, zur Umwelt respektive
Öffentlichkeit,
-
zwischen dem
Bedürfnis nach Schutz, sowohl in
physiologischer als auch in psychologischer Hinsicht, und dem Bedürfnis nach Kontakt
bzw. Interaktion auf mehreren Ebenen wie
beispielsweise der wahrnehmungsbezogenen, der sozialen, der
bio-physiologischen, der gestalttherapeutischen, der
handlungstheoretischen etc.,
-
zwischen
kontemplativen, auf die eigene Person
konzentrierten Phasen und kommunikativen, auf Sozialkontakt,
Geselligkeit oder Gemeinschaftlichkeit gerichteten Phasen.
Wenn
nun diesen bipolar divergierenden Phasen des Menschen im Zuge der
Konzipierung von Wohnbaustrukturen Rechnung getragen werden soll, so
ist klar, dass sie dort wie auch in den baulich-räumlichen
Gegebenheiten des Wohnungsumfeldes eine Entsprechung finden müssen.
Im Idealfall findet sich eine positive Kongruenz zwischen den Verhaltens-/Benutzungsstrukturen und den
räumlich-physischen
Strukturen. Doch wie kann eine solche positive Kongruenz
beschrieben
werden? Und welche Konsequenzen haben negative Formen der Kongruenz? Wie gestaltet sich generell die Beziehung Mensch-Wohnung-Umfeld
unter diesem Spannungsfeld? Und welche Rolle spielen dabei die
wohnbaustrukturellen Parameter, die der Art und Intensität dieser
Beziehung zugrunde liegen?
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Artikel in
Deutsch |
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___David Greusel
& Eric
Jacobsen
& Michael Metzger
Kansas City / Pasadena /
Annapolis |
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Auf der Grundlage einer Präsentation auf dem
Nationalen Konvent des Amerikanischen Architektenverbandes in den
Jahren 2005 und 2006 sowie auf drei regionalen Konferenzen haben die
Verfasser dieses Beitrages Datenmaterial aus einer großen Stichprobe
nordamerikanischer Architekten zu den moralischen Dimensionen der
Architektur gesammelt. Die Untersuchung beurteilt die Vorlieben der
Architekten über 40 verschiedene „Spannungen“ im Entwurf
(beispielsweise zwischen dem Wunsch zu sanieren versus den Wunsch,
neu zu bauen). Dieser Beitrag möchte die Spannungen und ihre
Bedeutungen untersuchen, die Ergebnisse der Untersuchungen aufzeigen
und spezielle Beobachtungen aus den gesammelten Ergebnissen
ableiten. Die Verfasser behaupten, dass es eine klare moralische
Dimension in der Architektur gibt, die hinausgeht über die
baugesetzlichen Forderungen, dass Gebäude sicher sein müssen für
menschliches Wohnen. Die Verfasser nutzen die
Untersuchungsergebnisse, um einige Nuancen dieser Behauptung zu
sondieren, die ihren Ausdruck in der aktuellen Praxis finden.
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Artikel
in Englisch |
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___Christian Holl
Stuttgart |
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Die Faszination der Reinheit, sei es als geometrische Form oder als
perfekte Oberfläche, hat nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt.
Selbst in der Gestaltung der Stadt wird ihrem Versprechen, von
Widersprüchen zu befreien und Komplexität als Synthese aufzulösen,
vertraut. Gemessen an städtischer Wirklichkeit, ist die Einlösung dieses Versprechens
allerdings weit entfernt. Möglicherweise liegt
aber genau darin das Wesen dessen, was mit dem Ideal der Reinheit
verbunden ist: auf etwas zu verweisen, was wünschenswert scheint,
aber nicht eingelöst werden kann. Es kann damit auch als Instrument
der Macht eingesetzt werden, in der der Einzelne sich dem in der
Zukunft zu verwirklichenden Ideal unterzuordnen hat. Es gilt daher
nach Mitteln zu suchen, wie sich Stadtgestaltung und Architektur dem
widersetzen können. Es reicht aber nicht, formal eine Gegenwelt zu
inszenieren, die sich der gleichen Mittel bedient wie das, was sie
kritisieren will. Stattdessen können aber aus der Vorstellung
zyklischer Zeit, aus der Vorstellung einer sich unter äußeren
Einflüssen verändernden Architektur, in den Konzepten der
Parallelität verschiedener Stadien zwischen Entstehen und Verfallen
Räume zur Entfaltung von Freiheit entwickelt werden, mit denen
besser als mit gefälligen Stadtlandschaften der Komplexität heutiger
Gesellschaft entsprochen werden kann.
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Artikel in Deutsch |
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___Kenneth
Frampton New York |
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Diese
Polemik ist sowohl fragmentarisch als auch dialektisch. Während sie
dazu bewegt, den Kräften der Reaktion zu widerstehen, garantiert
dies keineswegs eine Immunität gegenüber der Absorption oder
gegenüber den latent zugrunde liegenden Aspekten, die ihrerseits
dazu neigen, vom Reaktionären angezogen zu werden.
Nichtsdestoweniger sind die Architektur bzw. in dieser Frage alle
gestaltenden Künste gefragt, zu einer Poesie mit mehr Bildhaftigkeit
und Taktilität zurückzukommen. Sie ist der Verordnung einer
mythischen Bedingung zugewendet, die sowohl gelebt als auch gedacht
wird. In diesem Zusammenhang erscheint der vulgäre Gegensatz
zwischen dem Gegenständlichen und dem Abstrakten, zwischen dem
Dekorativen und dem Räumlichen und vor allem zwischen Historizisten
und Modernisten irrelevant für seine Bedeutung, denn Lissitzky
schrieb 1923 jenseits der Zwänge von Perspektive und Pathos einer
falschen Fachsprache: „Raum als lackierten Sarg für unsere
lebenden Körper lehnen wir ab.“
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Artikel in
Englisch |
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Landschaft und Erde
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___Rolf Kühn
Freiburg i. Br. |
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In rein
phänomenologischer Sichtweise bildet unsere Leiblichkeit mit der
Erde eine ursprüngliche Einheit, die hier im Zusammenhang mit der
Widerständigkeit des Bodens und unserer Bewegungsmöglichkeit
analysiert wird. Mit zusätzlichem Blick auf eine mögliche
„Metaphysik der Geographie“, wie sie die Tradition seit der Antike
kannte, werden außerdem zur Illustration dieser radikal
phänomenologischen Beschreibung einer leiblichen
Elementarästhetik auch die Beispiele der Japanischen Gärten und
der Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich herangezogen.
Insgesamt soll dadurch ein deskriptiver Rahmen für jede Art von
gelebter Räumlichkeit umrissen werden, wie sie der Bezug zu
Kosmos und Architektur beinhaltet.
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Artikel in Deutsch |
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___Hans Friesen
Cottbus |
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Zwei
grundsätzliche Weisen des menschlichen „In-der-Welt-Seins“ sind das
ländliche und das städtische Leben. Stadt und Land werden vom
Menschen als Lebensräume voneinander getrennt und unterschiedlich
gestaltet. Die Abtrennung der Stadt vom Land ist in der Geschichte
vorzugsweise durch gesicherte Grenzlinien vorgenommen worden. Diese
Grenzen, die seit dem Beginn des menschlichen Sesshaftwerdens vor
rund 12.000 Jahren (Hamm, 1982, 20) insbesondere als „physische“
errichtet wurden, werden in den letzten 200 Jahren immer weiter
entmaterialisiert und existieren heute weitgehend nur noch als
„vorgestellte“, wie Leonardo Benevolo (1995, 4) gesagt hat. Die nur
vorgestellte Grenze bekräftigt ebenso wie die physische einen
Unterschied, der wesentlich für das menschliche Leben zu sein
scheint und aus diesem Grunde auch nicht aufgehoben werden sollte.
In diesem Aufsatz wird in sechs Teilschritten die Geschichte, die
Gegenwart und die Zukunft der Landschaft und der Stadt in Europa
untersucht. Dabei wird die These vertreten, dass Stadt und Land einen
Unterschied bilden, der im Sinne eines „komplementären Gegensatzes“
verstanden werden muss. Danach dürfen die gegensätzlichen Seiten
sich nicht ausschließen, sondern müssen sich vielmehr ergänzen.
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Artikel in Deutsch |
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___Arie
D. Graafland
Delft |
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Sind Gärten und Ballette Ausdruck einer
besonderen geschichtlichen Periode? Und wenn das tatsächlich so ist,
was ist dann die Bedeutung der Barock-Gärten? Dieser Beitrag
untersucht die Bedeutung von Schloss und Gärten in Versailles. Ich
möchte versuchen, den Dualismus der Beschreibung und Erklärung zu
lösen, indem ich Versailles wortwörtlich mit einer analogen
Struktur, dem Ballett, überziehe. Diese zusätzliche Ebene gewährt
uns einen besseren Einblick in die Bedeutung des Schlosses und der
Anlagen. Der Beitrag besteht aus der Überlagerung der Choreografie
des Balet Comique de la Royne von Balthasar de Beaujoyeulx
aus dem Jahr 1581 mit den etwas später entstandenen Gärten von Le
Nôtre und des Sonnenkönigs.
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Artikel in
Englisch |
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Zeit und Architekturgeschichte |
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___Juhani
Pallasmaa
Helsinki |
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Die moderne Architekturtheorie hat die Auffassung
eingeführt, dass Architektur in einem vierdimensionalen
Raum-Zeit-Kontinuum stattfindet, in erster Linie durch die Bewegung
des Wahrnehmenden. Die Zeit ist jedoch in die mentale Struktur der
Architektur eingebettet. Karsten Harries schreibt: „Architektur ist
nicht nur um den domestizierenden Raum herum. Sie ist auch eine
große Schutzmaßnahme gegen den Terror der Zeit.“ Zusätzlich zum
domestizierenden Raum für das menschliche Wohnen artikuliert
Architektur tatsächlich auch Zeit; sie gibt dem unermesslichen,
ortlosen und unendlichen Raum ihr auf Erfahrung beruhendes
menschliches Maß und Bedeutung, und sie gibt auch der endlosen
natürlichen Zeit ihren menschlichen Maßstab.
Die Zeit fließt in das künstlerische Werk und in die Wahrnehmung als
psychische Regression zu einer früheren, archaischen Form von
indifferenzierter Wahrnehmung und immensem Bewusstsein ein. Folglich
ist die übliche Sicht von Kunst und Architektur als Projektionen von
futuristischem Interesse und Aspiration für Neues falsch. Anstatt
uns dem Sinn der Kontinuität zu entfremden, verteidigt die Kunst die Historizität der Kultur und die menschliche Erfahrung. Die Ursprünge
elementaren architektonischen Vergnügens liegen in unserer
Historizität als biologische und kulturelle Wesen; ästhetisches
Urteilsvermögen gibt eine evolutionäre und existenzielle
Vergangenheit wieder.
Zudem sind alle architektonischen Werke Zusammenarbeit, nicht nur
mit zahlreichen Fachleuten und Handwerkern, sondern Zusammenwirken
mit der stillschweigenden Weisheit der Architektur, und die
Anhäufung von nicht in Begriffe fassbarem existenziellen Wissen,
eingebettet in die gebaute Welt selbst. Der Dichter Joseph Brodsky
behauptet: „Wenn man Verse schreibt, sind das unmittelbarste
Publikum nicht die eigenen Zeitgenossen, geschweige denn die
Nachwelt, sondern unsere Ahnen.“ |
Artikel in
Englisch |
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___Thomas
DaCosta Kaufmann Princeton |
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Es gibt keine
einzelne Stimme, keine einheitliche Geschichte der Kunstgeschichte
in den Vereinigten Staaten, sondern viele Geschichten. Selbst wenn
wir uns auf die Kunstgeschichte an akademischen Einrichtungen
anstatt von Museen und Gewerbe konzentrieren, wäre nicht nur eine
Geschichte zu erzählen. Diese Situation betrifft nicht nur den
Gegenstand dieses Beitrages – Kunsthistoriker aus Deutschland, die
im Exil in den Vereinigten Staaten gearbeitet haben – sondern geht weit
zurück über den Zeitraum von 1933-1945 hinaus, der durch das Dritte
Reich gekennzeichnet ist. Deutschsprachige Kunsthistoriker in den
Vereinigten Staaten haben sich in einer großen Bandbreite
ausgedrückt. Nicht jede dieser Stimmen war deutlich genug, oder, um
es genauer auszudrücken, nicht jede Stimme wurde gehört. Es gab
Wissenschaftler, die sich nur teilweise ausdrückten, weil sie dem
ganzen Spektrum ihrer intellektuellen Interessen entweder
absichtlich oder unabsichtlich keine Stimme verliehen, als sie in
den Vereinigten Staaten waren. Es gab auch Stimmen, die ungehört
blieben oder nur von einigen wenigen Menschen gehört wurden. Daher
ist die Geschichte der deutschen Kunstgeschichte im Exil in Amerika
eine Geschichte von sowohl teilweise als auch voll und ganz
vernommenen Stimmen, von gehörten und ungehörten Äußerungen. Und
diese Situation hat möglicherweise unerwartete Konsequenzen für die
weitere Entwicklung der Kunstgeschichte in Amerika gehabt.
Karsten Harries, der von Haus aus Philosoph ist, zählt natürlich zu
den großen Ausnahmen von den Fällen, die in diesem Beitrag
angesprochen werden: er hat seine Stimme in den Vereinigten Staaten
gefunden, und er setzt sie ein, um scharfsinnig und einfühlsam über
Kunst und Architektur zu reflektieren. |
Artikel in Englisch |
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___Joseph
Rykwert Philadelphia / London |
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Ich schließe
mich Karsten Harries’ Besprechung der bayerischen Rokoko-Kirchen an:
sie gilt für eine verhältnismäßig begrenzte Zeit und Gegend – die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts in Südwestdeutschland –, als sehr
viele recht bedeutende Kirchen dieser Art erbaut wurden. Ihnen
gemeinsam ist der Gegensatz zwischen relativ schlichtem Äußeren und
Inneren, die eine wahre Orgie geschickt beleuchteter gemalter
paradiesischer Anblicke verbergen, gerahmt in viel Blattgold und
Marmorimitat. Es ist die Spannung, die einen Stil macht: ‚einen
Zustand zu kommunizieren, eine innere Spannung von Pathos, durch die
Mittel von Zeichen – und das heißt durch den Rhythmus solcher
Zeichen – das ist die Bedeutung jeden Stils’.
In diesem Sinne möchte ich ein jüngstes Phänomen betrachten – eines,
das schon geschlossen ist. Es dauerte sogar noch kürzer als die
Rokoko-Kirche – nur über ein Vierteljahrhundert. Dieser Stil trägt
den Namen ‚High-tech’ und wird hauptsächlich (bzw. zu einem gewissen
Grad ursprünglich) betrachtet, ein britisches Phänomen – mit Pariser
und anderen ‚Kolonien’.
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Artikel in
Englisch |
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___Katharina Fleischmann
Cottbus |
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Mit dem
Hauptstadtentscheid 1991 wird Berlin erneut ein Ort staatlicher
Repräsentation. Nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Staaten
nutzen die Chance zur Selbstinszenierung in Form von
Botschafts(neu)bauten. Botschaften können als Repräsentationsbauten
‚par excellence’ verstanden werden. Als Staatsrepräsentanzen nehmen
Botschaften Aufgaben diplomatischer Vertretung wahr, als
Staatsrepräsentationen stellen sie materialisierte
Versinnbildlichungen von Staaten bzw. Ländern dar. Nicht erst seit
dem Aufkommen einer ‚public diplomacy’, die mit massenmedialen
Mitteln nicht mehr nur Führungseliten, sondern vor allem ‚die breite
Masse’ zu erreichen sucht, spielt Architektur bzw. architektonische
Formen- und Materialsprache dabei eine wichtige Rolle.
Anhand
des Botschaftsneubaus Indiens werden zum einen
Übersetzungsstrategien der intendierten Botschaft in ‚Architektur
und Material’ nachgezeichnet. Zum anderen wird dargestellt, auf
welche Weise Passantinnen und Passanten im hauptstädtischen Raum
dieses materialisierte Staats- und Länderbilder interpretieren. Eine
Gegenüberstellung dieser zwei Seiten des Staats- und Länderbildes
Botschaft zeigt, ob und auf welche Weise die Botschaft der Botschaft
ankommt. |
Artikel in
Deutsch |
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___Diana
Soeiro
Lissabon |
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In den 1960-er und 1970-er Jahren machte Japan
einen gewaltigen wirtschaftlichen Wandel durch, infolge dessen viele
Städte zu klein waren für die schnell anwachsende Bevölkerung.
Welchen Stellenwert nimmt die Architektur im städtischen Raum ein?
Ist Architektur Kunst? Was ist die Beziehung zwischen Tradition und
Innovation, zwischen Architektur und Geschichte? Bewohnter Raum
versus leerer Raum? Reflektiert ein Architekturprojekt immer ein
politisches Projekt?
Diesen Fragen möchte ich mich nähern, indem ich zwei Aufsätze der
japanischen Architekten Shinohara Kazuo (1925-2006) und Andô Tadao
(geb. 1941) verwende. Ersterer fokussiert die architektonische Rolle
der Wohnarchitektur in Städten (die „ewige“ Präsenz im Raum,
funktionelle Architektur versus Architektur als Kunst,
nicht-funktioneller Raum als Leere, Stil (yoshiki) und
persönliches Schaffen, das „grenzenlose“ Wesen des Raumes). Der
zweite Aufsatz nutzt das „Raum-Prototyp“-Konzept, um die Bedeutung
der Architektur als ein Zugang zu „Innenperspektiven“ hervorzuheben.
Beide bieten eine ähnliche Lösung, indem sie den persönlichen Raum
über einem chaotischen Stadtmilieu betonen. |
Artikel in Englisch |
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___Andreas
Degkwitz
Cottbus |
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Im IKMZ-Gebäude der Brandenburgischen Technischen Universität
Cottbus (BTU Cottbus) sind die Bibliothek und das Multimediazentrum
der Universität untergebracht. Die 32 Meter hohe Konstruktion, die
Vorder- und Rückseite nicht zu erkennen gibt, ist von einer
doppelten Glasfassade umgeben, die mit stilisierten Graffitis
versehen ist. Der Grundriss des Gebäudes hat in seiner gerundeten
Ausprägung die Form einer Amöbe. Die Aufsehen erregende
Außenarchitektur setzt sich im Inneren des Gebäudes in einer
spiralförmigen Treppe fort, die vom 1. Untergeschoss bis in das 6.
Obergeschoss des Gebäudes reicht, und in einem konsequenten und
kräftigen Farbraster (Gelb, Grün, Magenta, Rot und Blau), das sich
über Teile der Fußböden und die Wände der einzelnen Etagen
erstreckt. Die Konzeption des Gebäudes ermöglicht eine flexible und
offene Nutzung des Hauses, die verschiedene Formen des Arbeitens und
des Kommunizierens erlaubt. Die farbige und transparente Wirkung des
Gebäudes symbolisiert das neue Medienzeitalter. Zugleich erweist es
sich so als Vermittler zwischen organisatorischen und technischen
Servicestrukturen und einem sehr sinnlichen Design. |
Artikel in
Englisch |
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